Gefangene deiner Dunkelheit
durchlief sie, und Manolito zog sie noch fester an sich. Ihre Haut war eisig kalt, und er drehte sich mit ihr um und deckte sie mit seinem Körper zu. »Du brauchst mir nicht mehr zu erzählen, MaryAnn, wenn es zu schmerzlich für dich ist«, sagte er, weil er nämlich ziemlich sicher war, dass er den Rest ihrer Geschichte kannte. Er wollte, dass sie ihm genug vertraute, um ihm alle Einzelheiten zu erzählen, doch ihre Verzweiflung steigerte sich, und mit ihr verschärfte sich auch die Unruhe der Tiere in den Bäumen um sie herum.
MaryAnn hatte noch nie mit jemandem darüber gesprochen und wollte es Manolito unbedingt erzählen. Aber die Enge in ihrer Brust nahm zu; das Gefühl, wie sie sich immer mehr zusammenzog, war grauenvoll, fast so, als würde ihr eigenes Ich an einen kleinen, dunklen Ort gezogen, um dort für immer gefangen gehalten zu werden. Sie wollte mit Armen und Beinen um sich schlagen, um sich selbst zu beweisen, dass sie sich überhaupt noch in ihrem eigenen Körper befand.
»Ich versuchte, es meiner Mutter zu erzählen, und sie sagte, es wäre ein Traum gewesen – ein böser Traum, an den ich mich beim Laufen vielleicht wieder erinnert hätte. Sie wollte nicht, dass ich weiter lief, und ich auch nicht. Ich habe es nie wieder getan. Und ich bin danach auch niemals mehr in einen Wald gegangen.« Es hatte ihren ganzen Mut erfordert, hier an diesen Ort zu kommen, um Solange und Jasmine zu helfen, um Manolito zu finden und zu versuchen, ihn zu befreien. Aber ihr Mut schwand, und jetzt wollte sie die Sicherheit ihres Zuhauses.
»Weil Wälder die Erinnerung daran auslösen?«
»Das Gefühl des Entsetzens und der Atemlosigkeit. Die Angst, eingesperrt zu werden und nie wieder herauszukönnen.« MaryAnn befeuchtete ihre trockenen Lippen und legte eine Hand um Mano-litos Nacken. Sie musste jetzt die Kraft seines viel größeren Körpers spüren, seine Hitze und das gleichmäßige Schlagen seines Herzens.
Manolito schwieg und hielt sie nur ganz fest in den Armen, während sie zu den Sternen aufschaute und die Tiere auf den Bäumen ringsum ignorierte. Erstaunlicherweise verspürte sie keinerlei Bedrohung von ihnen ausgehen, nur eine Art Verwandtschaft, eine Welle des Mitgefühls und große Besorgnis um sie. MaryAnn atmete tief ein und wieder aus. Sie würde Manolito nichts von dieser Erinnerung verschweigen, weil sie absolut sicher war, dass all das tatsächlich geschehen war, und weil es ihre einzige Möglichkeit war, endlich damit fertig zu werden.
»Die Frau kroch auf allen vieren mit mir durchs Unterholz. Wir wurden verfolgt, und sie weinte leise. Ich wusste, dass sie verletzt war, aber sie hielt mich fest und zwang sich, meilenweit zu laufen, bis wir zu einem anderen Haus kamen, dem Ferienhaus einer Dame und ihres Ehemanns, die mit der Frau befreundet waren, die mich trug. Die Dame kam heraus. Ich erinnere mich, wie entsetzt, besorgt und schockiert sie war, als sie das viele Blut sah. Die Frau übergab mich ihr und sagte, sie würden mich umbringen, wenn ich ihnen in die Hände fiele. Sie flehte die Dame an, mich zu retten.«
Wieder musste MaryAnn sich unterbrechen, weil ihre Kehle sich erneut zusammenzog und da wieder diese schreckliche Enge in ihrer Brust war, die sie jetzt immer öfter überfiel. Sie drückte ihr Gesicht an Manolitos Schulter, als sie heftig erschauderte.
»MaryAnn.« Er strich ihr übers Haar und streichelte beruhigend ihren Rücken. »Hast du die Dame erkannt? Die Nachbarin? Kam sie dir bekannt vor?«
Sie wusste es nicht. Woher denn auch? Das Herz schlug ihr bis zum Hals, und sie rang nach Atem wie eine Erstickende. Aber dann, ohne ihr eigenes Zutun oder Wollen, brach etwas aus ihr heraus, das selbst für sie eine zutiefst schockierende Enthüllung war.
»Sie war meine Großmutter«, sagte sie, nach Atem ringend, und ihre Fingernägel gruben sich in Manolitos Haut. »Die Dame, die mich aufnahm, war – ist – meine Großmutter!«
Er schloss MaryAnn in die Arme und hielt sie beschützend an seine breite Brust gedrückt, während er sanft mit einer Hand ihren Nacken massierte, um sie zu beruhigen. Er war nicht auf die Gefühle gefasst, die ihn übermannten, sondern fühlte sich bis ins Mark erschüttert von der Intensität dieser Empfindungen, die seinen Körper, sein Herz und seinen Verstand durchfluteten. Beruhigend murmelte er ein paar sanfte Worte in karpatianischer und portugiesischer Sprache, während MaryAnn in seinen Armen lag und haltlos weinte.
Sie fühlte sich
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