Gefangene deiner Dunkelheit
zurück, und diesmal streckte er eine Hand aus, um die große, bedrohliche Raubkatze zurückzuhalten.
Die dichte Hecke aus Farnen welkte und färbte sich braun, fächerartige Wedel knickten kraftlos ein, als ein dritter Mann aus dem Gebüsch heraustrat. Er war schön und grotesk zugleich. MaryAnn blinzelte ein paarmal, um seine wahre Gestalt klarer zu erkennen. Mit einer beiläufigen Handbewegung brachte er die Affen zum Verstummen. Dann sagte er etwas zu dem Jaguar, und auch die Raubkatze hielt inne.
MaryAnn befeuchtete ihre Lippen, die plötzlich trocken geworden waren. Sie hatte einen Vampir vor sich – den Inbegriff des Bösen. Er blickte zu ihr auf und lächelte. Seine spitzen Zähne waren blutbefleckt, die Haut umspannte seinen Schädel viel zu straff. Im nächsten Moment jedoch war er ein gut aussehender Mann mit einem breiten, einnehmenden Lächeln.
»Komm zu uns herunter und leiste uns Gesellschaft«, forderte er MaryAnn mit sanfter Stimme auf.
Sie spürte das Summen in ihrem Kopf und erkannte darin den unterschwelligen Zwang in seiner Stimme. MaryAnn rang sich ein Lächeln ab und wartete dann ein paar Herzschläge lang, um genügend Energie in ihrer Stimme und ihrem Geist zu sammeln, damit sie seine eigene Suggestivkraft gegen ihn selbst verwenden konnte. »Mir geht es eigentlich ganz gut hier oben. Bemüh dich also nicht und geh ruhig wieder.«
Der Vampir blinzelte und runzelte die Stirn. Dann schüttelte er den Kopf, als könnte er sich nicht erinnern, was er vorgehabt hatte.
»Nur zu, du willst doch gehen. Also geh auch ruhig.« Sie legte ihre ganze Macht in ihre Stimme.
Für einen Moment gehorchte er, wandte sich von ihr ab und ging wieder auf die Farne zu.
MaryAnn stockte der Atem, und sie beeilte sich, den anderen Tieren ihren Befehl zu übermitteln. Los jetzt! Greift ihn an. Ihr alle. Beeilt euch. Vernichtet sie, bevor sie euch vernichten.
Der Jaguar sprang den Vampir von hinten an und schlug ihm tief die Fänge in den Schädel. Gleichzeitig stürzten sich die Affen auf den Magier, bissen und schlugen ihn und attackierten ihn wie eine ganze Heerschar von Soldaten. Selbst die Vögel flogen auf und flatterten dann um die Kämpfenden herum, um die Angreifer mit ihren scharfen Krallen zu unterstützen.
Der Magier stürzte unter dem Ansturm solcher Mengen von Affen. MaryAnn wollte sich abwenden, weil ihr ganz übel wurde von dem Anblick, als der Jaguar erneut zubiss und Blut aus der Wunde herausschoss und in Strömen über den Kopf des Vampirs lief. Er brüllte auf vor Wut und packte den Jaguar mit beiden Händen, zog die Raubkatze mit seiner enormen Kraft von sich herunter und verdrehte ihr das Genick. Selbst inmitten des Geschreis der Affen und der Vögel konnte MaryAnn das Knacken hören.
Der Vampir blickte zu dem Magier hinüber, der unter einem Berg von Affen begraben war, und drehte sich langsam wieder zu MaryAnn um. Sein Kopf war zerbissen, der Schädel gebrochen von dem starken Biss des Jaguars, aber das schien dem Untoten nichts auszumachen. Seine Augen glühten wie rötliche Flammen, sein Mund war weit geöffnet und sein Gesicht nur noch eine hassverzerrte Fratze.
Einen Moment lang stand er da und starrte MaryAnn an. Dann krümmte er die Finger und ließ seine Nägel zu langen, scharfen Krallen wachsen. Ohne den Blick von ihr abzuwenden, flog er durch die Luft, landete auf dem Baum neben ihrem und begann, sich an dem Stamm hinaufzuschlängeln. Er sah furchtbar aus. Abscheulich. Wie einer der Vampire aus den Filmen, eine dunkle, unnatürliche, durch und durch böse Erscheinung, die darauf aus war, sie zu töten – und Manolito zu vernichten.
Im ersten Moment war MaryAnn zu Tode erschrocken. Der Schutzzauber würde nicht mehr lange halten. Er war eigentlich nicht so sehr zu ihrem Schutz, sondern mehr als Geräuschbarriere gedacht gewesen. Und Riordan war nicht hier, um sie zu retten. Um zu überleben und Manolitos Körper zu beschützen, musste sie schnellstens etwas unternehmen.
Schon spürte sie wieder die Macht in sich aufsteigen. Ihr Kopf dröhnte erneut, und dieses Mal sogar noch stärker. Als würde ihr Körper den Weg schon kennen und wartete nur noch auf ihre Erlaubnis. Die Vorstellung, ihr eigenes Ich loszulassen und das, was in ihr war, herauszulassen, war fast noch beängstigender als der Vampir, der den Baum hinaufstieg.
Ihr Kiefer schmerzte und pochte, ihre Bänder und Sehnen dehnten sich, während die Muskeln in ihrem Körper sich zusammenzogen und zu schmerzhaften
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