Gefangene deiner Dunkelheit
nicht mehr sicher. »Wem bist du hier begegnet?«
»Keinem Vampir. Einem alten Freund. Er hatte hier Zuflucht gesucht und verließ die Insel gerade wieder, weil er gemerkt hatte, dass das Haus von der Familie De La Cruz bewohnt wurde.«
Manolito hielt seine ausdruckslose Miene bei, aber sein Herz begann wie wild zu pochen. Furcht war ein unglaubliches Gefühl, und jetzt, da er sie empfand, erkannte er, dass er mehr um jene, die er liebte, fürchtete, als um sich selbst. »Deinen alten Freund gibt es schon lange nicht mehr, Luiz. Meide ihn um jeden Preis. Du bist einem Meistervampir begegnet, und nur, weil er einen Plan hat und dich brauchte, bist du ungeschoren davongekommen.«
»Du glaubst, mein Freund ist ein Untoter?«
»Auf jeden Fall ist er verdorben.«
»Ich danke dir für deine Hilfe, Manolito«, sagte Luiz, und zum ersten Mal sah er bedrückt und mutlos aus. In einer einzigen anmutigen Bewegung zog sich sein Körper zusammen und begann, sich mit Fell zu überziehen, während sich Luiz' Kinn verlängerte, um langen Fängen Platz zu machen. In absoluter Lautlosigkeit zog er sich ins Unterholz zurück und verschwand aus Manolitos Sicht.
Nur zur Sicherheit löste Manolito sich in Nebel auf und verschmolz mit dem grauen Dunst, der nur ein paar Fuß über dem Boden zwischen den Baumstämmen aufwaberte. Man konnte nicht vorsichtig genug sein bei dem Jaguarmann.
Auf einem Felsblock auf der anderen Seite eines tosenden weißen Wasserfalls, der über einen steilen Abhang in den angeschwollenen Fluss hinabstürzte, materialisierte Manolito sich wieder. Er brauchte seine Gefährtin. Er musste sie berühren. Sie halten. Schmecken. Sein Hunger hatte sich wieder eingestellt und Verwirrung mitgebracht. Er musste seine Familie vor der Gefahr, die auf der Insel lauerte, warnen, doch vor allem brauchte er seine Gefährtin, damit sie ihm Halt gab.
Wo bist du ?, schrie er in Gedanken auf und fühlte sich einsamer und verlorener als je zuvor in seinem Leben.
4. Kapitel
M aryAnn setzte vorsichtig einen Fuß aus dem Geländewagen und sah ihren heiß geliebten Stiefel von Kors tief im Schlamm versinken. Ein kleiner entsetzter Laut entschlüpfte ihr. Die Stiefel waren ein selten guter Fund gewesen. Die vorn spitz zulaufenden, dunkelbraunen, auf alt gemachten Lederstiefel waren nicht nur sehr schick mit ihren breiten, hohen Absätzen, sondern auch bequem und genau das Richtige für Dschungel-Aufenthalte. Vor allem aber passten sie hervorragend zu ihrer kurzen, hochmodernen Forzieri -Jacke aus butterweichem Leder, das die gleiche elegante Farbe hatte. Sie hatte Jacke und Stiefel sogar mit einer speziellen Creme behandelt und sie für alle möglichen Gelegenheiten, wie diese Dschungeltour zum Beispiel, wasserdicht gemacht. Sie war wirklich sehr gut vorbereitet hergekommen, und jetzt war sie noch nicht mal aus dem Wagen heraus und steckte bereits knöcheltief im Schlamm. Sie liebte diese Stiefel.
Als sie ihren Schuh herauszog, gesellte sich ein schmatzendes Geräusch zu dem unangenehmen Geruch süßer Pflanzen und verrottender Vegetation. MaryAnn lehnte sich wieder auf dem Sitz zurück, um den Schaden zu untersuchen, und rümpfte angewidert die Nase. Was in Herrgotts Namen tat sie nur an diesem Ort? Sie müsste in einem Café sitzen, mit Straßenmusikanten davor und dem Gewimmel von Menschen überall um sie herum, statt in dieser eigenartig stillen Welt, in der es nichts anderes gab als ... Wildnis.
»Beeil dich, MaryAnn. Von hier aus müssen wir laufen«, sagte Juliette.
MaryAnn zog ihren Rucksack zu sich heran und spähte aus der offenen Tür auf das seltsam stille Innere des Waldes. »Es ist sehr matschig hier, Juliette«, sagte sie, weil sie sich an jeden Strohhalm klammerte, um in der verhältnismäßigen Sicherheit des Jeeps bleiben zu können. Der Wald beängstigte sie auf eine Weise, die sie niemandem erklären könnte. Ihre Ängste waren tief verwurzelt, und es war ihr nie gelungen, sie zu überwinden. Sie konnte sich einfach nicht dazu durchringen, in aller Ruhe wie ein Opferlamm in diese bedrückende Dunkelheit hineinzugehen. »Vielleicht könntest du einfach telepathisch Kontakt zu ihm aufnehmen und ihm sagen, dass wir hier sind. Du kannst das doch, nicht wahr?«
»Manolito würde nicht antworten«, erinnerte Riordan sie. »Er glaubt, dass wir ihm etwas antun wollen.«
»Ich habe doch schon erwähnt, dass ich noch nie gezeltet habe?«, sagte MaryAnn und suchte den Boden nach der trockensten Stelle ab.
»Drei
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