Gefangene deiner Dunkelheit
gelitten hat. Ich erinnere mich an viele Dinge nicht. Ich weiß nicht mehr, wem ich vertrauen kann. Ich dachte, du ...« Er brach ab, stöhnte leise auf und bedeckte sein Gesicht mit seinen Händen.
»Ich bin ein Mensch, Manolito, keine Karpatianerin. Ich sehe und höre die Dinge nicht, die du wahrnehmen kannst.«
Der Boden bewegte sich unter ihren Füßen, und sie sah weder das Gesicht in dem Blattwerk noch die aufgewühlte, zu einem höhnisch grinsenden Mund verformte Erde. Eine Weile blieb er völlig reglos stehen, während der Regen auf ihn niederprasselte, bevor er wieder den Kopf hob und MaryAnn ansah.
»Du musst mich allein lassen. Geh dorthin zurück, wo du dich am sichersten fühlst. Halt dich von mir fern. Ich weiß nicht, warum ich glaube, dass du zu mir gehörst, aber ich fürchte um meinen Verstand – und um deine Sicherheit. Geh jetzt, schnell, bevor ich meinen Entschluss bereue.«
Weil er den Gedanken nicht ertragen konnte, dass sie sich außerhalb seiner Sichtweite befand. Bis zu diesem Augenblick war ihm nicht bewusst gewesen, wie sehr er sie brauchte. Aber seine eigenen Bedürfnisse spielten keine Rolle mehr. Sie musste sich in Sicherheit bringen – sogar vor ihm ... insbesondere vor ihm.
Da war sie, ihre Freiheit. MaryAnn blickte sich um. Der Dschungel war dunkel und trüb des Regens wegen, der überall war, kleine und große Wasserfälle erzeugte, sich neue Wege suchte und zu breiten, aufgewühlten Strömen zusammenfloss. Der Regen fiel unablässig, und zwar so schonungslos und heftig, dass der ganze Wald nur noch aus Wasserfällen zu bestehen schien. Sie fühlte sich furchtbar fehl am Platz hier, so völlig ohne eine Ahnung, wie sie sich verhalten sollte...
Bei Manolito schien das genaue Gegenteil der Fall zu sein, selbst wenn es zutraf, dass er seinen Verstand verlor. Er war hier vollkommen in seinem Element und sich seiner selbst und seiner Kraft sehr sicher, als er seinen Blick wieder über die Umgebung schweifen ließ und versuchte, die Gefahr einzuschätzen, die ihnen – nein, nicht ihnen, sondern ihr - drohte.
Nach einem tiefen Atemzug schob sie ihre kleine Hand in seine. »Wir können zusammen herausfinden, was das ist. Hörst du jetzt gerade Stimmen?«
»Ja, höhnisches Gelächter. Und ich sehe Vampire in der Erde, in den Bäumen und im Gebüsch. Sie umzingeln uns.«
MaryAnn schloss für einen Moment die Augen. Na großartig. Und sie war wegen der Jaguare beunruhigt gewesen. Vampire waren weitaus schlimmer. Mit ihrer freien Hand griff sie nach der Pfefferspraydose und nahm sie fest zwischen die Finger. »Okay. Zeig mir, was du siehst. Das kannst du doch, oder? Mir dein Bewusstsein öffnen, meine ich.«
Er spürte, wie sie in seinen Geist eindrang und die Verbindung herzustellen versuchte. Ihr selbst schien es nicht bewusst zu sein, doch der Versuch, geistig mit ihm zu kommunizieren, war von ihr selbst initiiert worden. Und tatsächlich drang sie mühelos in sein Bewusstsein ein. Ihre Finger verkrampften sich um seine. Ein Erschauern durchlief sie.
Du siehst sie.
MaryAnn starrte die schauerlichen Gesichter um sie herum an. Kein Wunder, dass Manolito nicht mehr wusste, was Wirklichkeit und Illusion war. Die Vampire waren nur allzu real in seinem Geist. Zumindest glaubte sie, dass sie sich allein in seinem Geist befanden. »Vertraust du mir?«, fragte sie.
»Mit Herz und Seele«, erwiderte er ohne Zögern. Er glaubte, dass sie seine Gefährtin war und es keinen Verrat und keine Lügen zwischen ihnen geben konnte. Und sollte er sich irren, dann sei es eben so. Er würde sterben, um sie zu beschützen.
»Verschwinde aus meinem Kopf, dann bringe ich uns von hier weg.« Sie versuchte, vor ihn zu treten, umklammerte ihre Dose Pfefferspray und wappnete sich für einen Kampf mit welchem Gegner auch immer, damit sie Manolito in Sicherheit bringen konnte.
Aber er legte eine Hand unter ihr Kinn und zwang sie, ihn anzusehen. »Nicht ich bin es, der die geistige Verbindung aufrechterhält. Du tust das. Ich kann sie nicht abbrechen; nur du kannst das.«
Sie trat näher an ihn heran, als suchte sie Schutz bei ihm. »Ich kann unmöglich diejenige sein, die diese geistige Verbindung schafft. Ich habe keine übersinnlichen Kräfte.«
»Es wird alles gut, mein Herz«, sagte er. »Ich werde nicht zulassen, dass dir etwas zustößt, während wir uns im lamti ból jùti, kintaja szelem befinden.«
»Ich spreche deine Sprache nicht.« Was immer er gesagt hatte, konnte nichts Gutes gewesen
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