Gefangene deiner Dunkelheit
sein. Es klang dämonisch. Sie wappnete sich im Stillen gegen die Übersetzung.
»Die wörtliche Bedeutung ist Reich der Finsternis, Nebel und Gespenster. Wir scheinen zum Teil in unserer Welt, aber bis zu einem gewissen Grad auch in der Unterwelt zu sein. Ich bin mir nicht sicher, wie das passiert ist oder warum, aber wir müssen einen Weg nach draußen finden.«
»Ich hatte schon befürchtet, dass es so etwas ist.« Gott, wie fehl am Platz sie war in dieser Welt! Sie sah sich ja nicht mal Horrorfilme an. »Also gut, dann sag mir, was wir tun, denn dieser wirklich grässliche Vampir zu unserer Linken kommt uns immer näher.«
Die ganze Welt war grau, von einem trüben, verschwommenen Grau mit Nebelschleiern, die von Ästen und Zweigen herabhingen wie Leichentücher. Und überall waren Insekten. Große, dicke Viecher, die MaryAnns Gesicht und jeden unbedeckten Zentimeter ihrer Haut umschwirrten. Sie zog das Pfefferspray aus ihrem Gürtel und verpasste ihnen eine Dosis. Das Spray kam in einem unheimlich graugrünlichen Strahl aus der Dose, trieb langsam in der Luft dahin und schien sich dabei zu verdichten. Das Sprühgeräusch war ein leises Zischen, wie von einem Tier, und klang überlaut in der jähen Stille dieser Welt.
»Sie verursachen gar keine Geräusche, die Insekten«, flüsterte sie Manolito zu. »Es ist so still hier.«
Sogleich drehten sich gespenstische Gesichter nach ihr um, und dämonische, glühende Augen schienen sich geradezu in sie hineinzubohren. Überraschung spiegelte sich in ihren scheußlichen Gesichtern wider. Die Vampire sahen einander an, dann richteten sie ihren Blick wieder auf sie. Ein schadenfrohes Gemurmel erhob sich, und einer der Untoten kam näher und öffnete seinen ekelhaften Mund, um fleckige, aber rasiermesserscharfe Zähne zu entblößen.
»Wie schön, dich hier zu haben«, zischte der Vampir, und sein heißer, übel riechender Atem streifte ihre Haut. »Ich habe lange nicht mehr gut gespeist.«
Dampf stieg um sie auf und hüllte sie in einen dichten Nebel ein. Manolito zog sie in seine Arme und drückte ihren Kopf an seine Brust, damit sie nicht die Ungeheuer sah, die immer näher kamen, während sie ihre erbarmungslosen Augen hungrig auf ihren Hals richteten.
»Jetzt wäre ein guter Moment zum Fliegen«, sagte MaryAnn.
»Das kann ich nicht in dieser Welt. Hier bin ich an die Gesetze des Reichs der Finsternis gebunden.«
Der Boden verlagerte sich, und noch mehr Gesichter starrten sie an. Der andere Vampir kam mit schwerfälligen Bewegungen näher. MaryAnn versteifte sich, als ein langer, knochiger Finger auf sie zeigte, das Wesen dann seine Finger krümmte, ihr winkte und seinen pestilenten Atem, der diesmal kalt wie Eis war, in ihre Richtung blies. Bevor dieser jedoch ihr Gesicht berühren konnte, fuhr Manolito mit ihr herum, damit er den Strahl im Rücken abbekam und MaryAnn von dem giftigen Atem des Vampirs verschont blieb.
»Zum Teufel damit«, fauchte sie. »Du bist doch vorher auch geflogen. Also setz deinen Hintern in Bewegung und bring uns hier heraus.« Unter Aufbietung aller Willenskraft versuchte sie, ihn dazu zu bringen, sich in die Lüfte zu erheben. Sie befahl es ihm. Dann schlang sie sogar ihre Arme um seinen Nacken, barg ihr Gesicht an seiner Brust und presste sich an ihn, so fest sie konnte.
Manolito mochte den Geboten des Reichs der Finsternis folgen, aber MaryAnn ganz offensichtlich nicht. Er war in der Schattenwelt gefangen, doch sie war menschlich und befand sich an einem Ort, an den sie nicht gehörte; von ihrer vereinten Seele war sie jedoch dorthinein gezogen worden und wurde nun da festgehalten. Sie musste nur den Wunsch haben, ohne ihn zu gehen, und schon würde sie frei sein, aber sie weigerte sich, das auch nur in Betracht zu ziehen. Manolito begann, ihren Geist und ihr Denken jetzt zu begreifen und zu erkennen, was für einen eisernen Willen seine Gefährtin hatte. Plötzlich fand er sich mit ihr in der Luft wieder und entfernte sich schnell von den zu ihnen aufstarrenden Gesichtern, dem Geheul und enttäuschten Knirschen Tausender von Zähnen.
Er fand einen kleinen Unterschlupf aus Felsbrocken und ließ sich langsam dort herab, in der Hoffnung, dass sie hier sicher sein würden, doch da er nichts von dem unnatürlichen Reich wusste, in dem sie sich zum Teil befanden, befürchtete er, dass sie nirgendwo in Sicherheit waren. MaryAnn klammerte sich an ihn und zitterte am ganzen Körper, als ihre Füße den Erdboden berührten. Sie glitt
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