Gefangene deiner Dunkelheit
sie wollte weg von hier. Sie wollte in ihr Seattle zurückkehren, wo der Regen fiel, um die Atmosphäre zu reinigen, und wo die Welt in Ordnung war.
Sie spürte Manolitos Finger um ihr Handgelenk, aber als sie auf seine Hand herabblickte, war sie grau. MaryAnn blinzelte. Überall um sie herum war der Regenwald wieder voller Leben und Farben, die so strahlend waren, dass sie ihr fast in den Augen wehtaten.
Und sie hörte auch wieder die Geräusche, das Summen von Insekten, das Rascheln in den Blättern und die Bewegungen von Tieren, die durch das Unterholz und das Blätterdach hoch über ihnen schlichen. Sie schluckte schwer und sah sich um. Das Wasser war rein und klar und stürzte mit einer solchen Kraft zur Erde, dass es sich wie Donner anhörte.
Sie griff nach Manolito und zog ihn an sich, aus Angst, ihn zu verlieren. Sein Körper wirkte kräftig genug, aber an seiner Reaktion stimmte etwas nicht, als wäre ein Teil von ihm mit etwas anderem beschäftigt. »Ich glaube, ich habe gerade etwas bewirkt.«
»Du bist wieder dort, wo du hingehörst«, stellte Manolito erleichtert fest. »Wir müssen dich in Sicherheit bringen, bevor die Sonne aufgeht. Du magst zwar keine Karpatianerin sein, MaryAnn, aber spätestens nach einem zweiten Blutaustausch wirst du das Sonnenlicht nicht mehr gut ertragen können.«
»Sag mir, was geschieht.« Sie hatte die andere Welt nicht gemocht, doch in dieser hier allein zu sein war sehr beängstigend. »Ich will nicht, dass du mich allein lässt.«
Manolitos Herz verkrampfte sich angesichts der Furcht in ihrer Stimme. »Ich würde dich nie allein lassen, schon gar nicht umgeben von Gefahren. Ich kann dich voll und ganz beschützen, selbst wenn mein Geist an diese Welt gefesselt ist.«
»Und wenn ich dich nicht beschützen kann?«, fragte sie mit einem bangen Blick.
Manolito zog sie an sich, um sie zu beruhigen, und währenddessen öffnete sich der Boden unter ihm, und eine mächtige Pflanze brach durch die Erde neben seinen Füßen. Fangarme glitten suchend über den Boden, während sich die Blumenzwiebel öffnete wie ein Mund und den Blick auf dicke Fanghaare mit klebrigen, giftigen Knötchen freigab, die in Manolitos Richtung wogten und versuchten, an seine Haut heranzukommen.
»Pass auf den Boden auf, MaryAnn!«, warnte er, während er die Arme um sie schlang, und machte einen Satz zurück. Er landete etwa vier Meter von der Pflanze und blickte sich schnell nach An zeichen eines Feindes um. Seine Sinne gehorchten ihm nicht so gut in der Schattenwelt, aber er befürchtete, dass das, was hier geschah, durchaus widerspiegeln könnte, was auch in der anderen Welt geschah.
»Was ist?« Mit scharfen Augen suchte MaryAnn den Boden ab. Ihre Sicht schien sich so weit geklärt zu haben, dass sie beinahe das Gefühl hatte, eine völlig andere Welt zu erblicken. Sie konnte Mano-lito sehen, aber was immer ihn in dieser Welt bedrohte, konnte sie nicht klar erkennen. Sie sah nur verschwommene Schatten, wie aus einem Albtraum, unwirklich und unheimlich. Seine Arme verblassten, als würde er mehr und mehr in diese andere Welt hineingezogen.
»Lass mich nicht los !« Sie versuchte, nach seinem Hemd zu greifen, doch sie spürte, wie er sich von ihrem Bewusstsein löste. Sie hatte nicht einmal gewusst, dass er darin gewesen war, aber jetzt, da er nicht mehr dort war, begann seine Gestalt fast durchsichtig zu werden.
»Ich kann dich nicht in dieser Gefahr hierlassen. Wir wissen nicht, was hier geschieht. Du bist in der anderen Welt sicherer, während ich mich mit all dem befasse.«
»Was meinst du mit ›all dem‹?«, schrie sie, aber egal, wie flehend sie ihn auch rief, er war schon nicht mehr da, nichts als ein durch das Gebüsch wabernder Schatten, bis selbst der nicht mehr zu sehen und sie allein war.
Mit vor Furcht ganz trockenem Mund und wild pochendem Herzen blickte MaryAnn sich um. Gleichgültig, wie sehr sie auch wünschte, er möge verschwinden, der Regenwald umgab sie immer noch. Sie schluckte schwer, trat ein paar Schritte zurück und spürte, wie ihre hohen Absätze in schlammigem Wasser versanken. Laub und Wasserpflanzen verbargen den flachen Wasserlauf, in den sie versehentlich getreten war. Wasser und Schlamm waren einfach überall.
Es goss in Strömen, sodass der Regen sogar durch das dichte Blätterdach über ihr drang. Sie sah, dass eine Schlange durch das Blattwerk auf sie herabschaute, und hätte schwören können, dass das Blut in ihren Adern stockte. Für einen Moment
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