Gefangene deiner Dunkelheit
kapitulieren – weder vor sich selbst noch vor ihm. Wenn sie ihn schon nicht verlassen konnte, konnte sie ihm wenigstens die Stirn bieten.
MaryAnn hob das Kinn und rang sich ein Lächeln ab, als sie in das Wohnzimmer hinaustrat. Eine junge Frau mit langem Haar, das ihr wie ein Wasserfall über den Rücken fiel, saß mit angezogenen Beinen auf einer Fensterbank. Mit einem zögernden Lächeln, das nicht ganz echt war, blickte sie auf und nahm MaryAnn mit ihren smaragdgrünen Augen aufmerksam in Augenschein.
»Du musst Jasmine sein. Ich bin MaryAnn Delaney. Hat Juliette dir gesagt, dass ich komme?« Sie näherte sich dem Mädchen mit langsamen, behutsamen Schritten, um es nicht zu erschrecken. Denn Jasmine, diese junge Frau mit Augen, die zu alt wirkten und schon zu viel gesehen hatten, und dem von Kummer und Leid ge prägten Gesicht war der eigentliche Grund, aus dem sie hergekommen war.
Jasmine streckte ihr lächelnd die Hand hin. »Wie schön, dich endlich kennenzulernen! Juliette hat mir nur Gutes über dich erzählt.«
»Du riechst nach karpatianischem Mann«, warf eine andere, verächtlich klingende Stimme ein.
MaryAnn wandte sich zu Solange um. Diese Frau konnte niemand anderes sein. Sie war auf eine wilde, ungezähmte Weise schön und hatte Augen wie eine Katze, bernsteinfarben, scharf und misstrauisch. Auch ihr Gang war wie der einer Katze und ihre schnellen, rastlosen Bewegungen flink und anmutig. MaryAnn nahm den tief sitzenden, nur mühsam unter Kontrolle gehaltenen Zorn in dieser Frau wahr. Solange hatte zu viel Schreckliches gesehen, um je wieder unbefangen und arglos sein zu können.
Sie trug eine locker sitzende Baumwollhose mit Durchziehband und einen Gürtel um die Hüften. Während MaryAnn sich auf ihr Pfefferspray verließ, hatte Solange Messer und Pistolen in ihrem Gürtel, als wären sie etwas ganz Alltägliches für sie. Sie besaß Waffen, die MaryAnn noch nie gesehen hatte und von denen viele klein und scharf waren und äußerst wirkungsvoll aussahen. Ihr Haar war struppig, passte aber zu der Form ihres Gesichts. Während Jasmine geradezu ätherisch schön war, schlank und wohlgestaltet, mit sanften Kurven und langem Haar, wirkte Solange eher derb, mit üppigen Kurven, harten Augen und einem von Leid geprägten Mund.
»Tue ich das? Dann werde ich duschen.« MaryAnn lächelte die Frau an, um sie zu beruhigen und ihr zu helfen, sich zu entspannen.
Solange verhielt den Schritt und zog die Nase kraus. »Tut mir leid. Das war unhöflich von mir. Aber ich habe einen sehr ausgeprägten Geruchssinn. Trotzdem hätte ich das nicht sagen sollen. Wir sind in Jaguargestalt umhergestreift, und das macht mich immer überempfindlich.«
»Nein, nein, schon gut, Solange. Du kannst ruhig sagen, was du denkst.« MaryAnn warf ihr ein schnelles, anerkennendes Lächeln zu. »Selbst wenn du sagst, ich rieche.«
»Nein, nein«, widersprach Jasmine, als sie sich schnell erhob. »Das meinte Solange überhaupt nicht.« Nach einem warnenden Blick auf ihre Cousine streckte sie ihre Hand nach MaryAnns aus. »Hast du Hunger? Wir wollten gerade zu Abend essen. Wir sind erst vor ein paar Minuten aufgestanden. Tut mir leid, falls wir dich geweckt haben.«
»Du hast im Schlaf geweint«, sagte Solange. »Ich habe auch ein sehr gutes Gehör. Fühlst du dich nicht wohl hier, MaryAnn?«
MaryAnn behielt ihr beruhigendes Lächeln bei. Jasmines Finger umklammerten ihre, und sie spürte, wie das Mädchen zitterte. »Ach, es ist nur so, dass ich ein Stadtmensch bin und der Dschungel mich ein bisschen ängstigt. Bei euch beiden ist das wahrscheinlich nicht so. Aber ich habe gestern Nacht mein Pfefferspray bei einem Jaguar benutzen müssen, als er mich angriff.«
Solange fuhr herum, und ihre dunklen Augenbrauen zogen sich zusammen. »Du bist von einem Jaguar angegriffen worden? Bist du sicher?«
MaryAnn nickte. »Ich war ihm ganz nahe.«
»Hatte er ein Halsband oder irgendein Bündel um den Nacken, das du sehen konntest?«, beharrte Solange. Sie lief schon von Fenster zu Fenster und spähte unruhig hinaus.
»Jetzt, da du es sagst... ja, das könnte sein.« MaryAnn ließ Jasmines Hand nicht los. Das Mädchen zitterte am ganzen Körper, als sie durch die große Eingangshalle in die ebenfalls sehr weitläufige, helle Küche gingen.
Solange hob den Kopf und schnupperte. »Warst du in der Nähe eines männlichen Jaguars? Bei einem anderen Mann als dem Karpatianer?«
Jasmine schnappte entsetzt nach Luft, schlug eine Hand vor
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