Gefangene der Dämmerung: Ravenwood 2 - Roman (German Edition)
nicht einen Moment auf die Idee gekommen, sich zu fragen, wie es ihrer Mutter gehen könnte. Kein Wunder, dass sie vor Angst Mr Sheldon angerufen hatte.
»Tut mir leid, Mum«, flüsterte sie und setzte sich wieder hin.
»Schon gut. Aber tu es nie wieder. Ich war übrigens nicht die Einzige, die sich Sorgen gemacht hat. Caro hat jede halbe Stunde hier angerufen.«
»Und Mr Sheldon auch, wie es aussieht.«
Silvia sah sie streng an.
»Hör auf damit. Robert – Mr Sheldon – hat sich ernsthafte Sorgen gemacht.«
»Wohl eher wegen seines Jobs als meinetwegen.«
»April«, warnte Silvia, »mag ja sein, dass du Mr Sheldon nicht leiden kannst, aber er ist immerhin Rektor an deiner Schule.«
»Ich bezweifle, dass ein Rektor bis nach Mitternacht bei einer Schülerin zu Hause herumsitzt, nur weil sie mal die Schule geschwänzt hat.«
Silvia schürzte die Lippen und wandte den Blick ab.
»Komm schon, Mum, was ist hier los?«
Sie trat vor den Kühlschrank. »Ich weiß nicht, wovon du sprichst.«
»Doch, tust du. Wieso hängt ›Robert‹ neuerdings ständig hier herum? Ich weiß, es ist dein Haus, aber ich … es gefällt mir nicht.«
»Er ist ein alter Freund von mir und deinem Dad.«
»Wie kommt es dann, dass du ihn vorher nie erwähnt hast? Bevor ich nach Ravenwood kam, hatte ich noch nie von ihm gehört. Dabei wäre es doch garantiert das Erste gewesen, was du mir in Edinburgh erzählt hättest: ›Keine Sorge, Schatz, wenigstens gehst du in London auf Onkel Roberts Schule‹.«
Silvia stieß einen Seufzer aus.
»Dein Dad konnte ihn nie leiden.«
»Tja, Dad hatte ja schon immer einen besseren Geschmack als du.«
Silvia verzog das Gesicht. »Ich habe dir gesagt, du …«
»Ist ja schon gut, dann erzähl mir die Geschichte eben jetzt. Also, wer ist ›Robert‹? Woher kennst du ihn? Von der Uni? Ich habe den Falken selber gefragt …«
»Den Falken?«
»Oh … so nennen ihn die Schüler. Wegen seiner merkwürdigen Augen.«
Ihre Mutter sah sie forschend an, als wolle sie April etwas fragen, doch dann schien sie sich eines Besseren zu besinnen.
»Ja, wir haben uns in Oxford kennengelernt.«
»Danach habe ich ihn auch gefragt, aber er schien Dad nicht sonderlich gut zu kennen.«
»Oh, sie kannten sich sehr wohl, nur haben sie nicht in denselben Kreisen verkehrt. Wir waren damals an unterschiedlichen Fakultäten.«
»Wieso hast du ihn dann nie erwähnt?«
»Na ja, du weißt ja selber, wie das ist. Eine Weile ist man ganz dicke, aber dann verliert man sich eben aus den Augen.«
April musste an Caro denken. Sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, ihre Freundschaft zu beenden, so-lange es keinen triftigen Grund dafür gab.
»Und wieso konnte Dad ihn nicht leiden?«
»Wenn du es unbedingt wissen willst …«, antwortete sie zögernd. »Robert war etwas mehr als nur ein Freund. Wir waren zusammen, bevor ich deinen Vater kennengelernt habe.«
April sprang von ihrem Barhocker auf. Augenblicklich schoss ein greller Schmerz durch ihren Schädel.
»Iihh! Nein! Das ist ja ekelhaft.«
»April! Sei nicht so gemein! Damals war er viel jünger.«
»Igitt! Mum! Das ist …« Sie erschauderte. »Wie konntest du nur?«
Silvia lachte.
»Na ja, er hatte ein Auto. Damals habe ich mich eben leicht beeindrucken lassen.«
»Oh Gott«, stöhnte April. »Und was ist dann passiert? Hast du wegen Dad mit ihm Schluss gemacht?«
»Nein, als ich deinen Dad kennengelernt habe, war es längst vorbei. Aber logischerweise waren sie nicht gerade dicke Freunde, wie du dir vorstellen kannst. Schließlich will keiner gern den Ex seines neuen Partners vor der Nase haben, oder?«
Nein, eher nicht , dachte April und erinnerte sich an den schrecklichen Moment, als Gabriel zärtlich Jessicas Wange gestreichelt hatte. Sie hatte die Szene unzählige Male vor ihrem geistigen Auge Revue passieren lassen und sich alle möglichen Erklärungen zurechtgelegt – vielleicht hatte Jessica sich ihm an den Hals geworfen, und er hatte sie nur weggeschoben. Vielleicht war sie seine Schwester, die er vor langer Zeit aus den Augen verloren hatte. Nein, so etwas gab es nur in Jennifer-Aniston-Schnulzenkomödien.
»Aber wieso hast du mir all das nicht schon erzählt, als ich auf die Schule gekommen bin? Dir muss doch klar gewesen sein, dass ich es irgendwann herausfinde.«
Silvia zuckte mit den Schultern.
»Ich weiß, du glaubst, die Erwachsenen würden mit einer Art Handbuch für richtiges Benehmen in der Tasche herumlaufen, aber das
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