Gefangene der Dämmerung: Ravenwood 2 - Roman (German Edition)
hatte. Augenblicklich waren die Gewissensbisse verflogen. Sie nahm noch einen Schluck von ihrem Cocktail und setzte sich auf die Balustrade neben Ben.
»Und wie fühlt man sich so als Mädchen, über das alle reden?«, fragte er.
»Bin ich das?«
Er lachte ein kehliges und sinnliches Lachen.
»Du wirst wohl kaum zweimal Opfer eines durchgeknallten Irren, und keiner merkt es, April.«
»Wohl kaum«, bestätigte sie und registrierte vage, dass sie leicht nuschelte, doch es kümmerte sie nicht. »Allmählich wird es wohl zur Gewohnheit.«
»Vielleicht«, meinte Ben und sah sie an. »Mir ist allerdings völlig klar, weshalb Marcus so verrückt nach dir war.«
April wurde rot. Um ihre Verlegenheit zu kaschieren, nahm sie noch einen Schluck von ihrem Cocktail und ließ den Blick über die Gäste schweifen. Sie spürte Bens Blick auf sich ruhen, aber sie war fest entschlossen, sich nicht von der Intensität seiner blauen Augen einschüchtern zu lassen.
»Fühlst du dich unbehaglich in meiner Gegenwart, April?«, fragte er mit einem Anflug von Belustigung in der Stimme.
»Nein, überhaupt nicht. Es ist nur … nach allem, was passiert ist …«
Ben schüttelte den Kopf. »Nein, das glaube ich nicht. Du bist jemand, der so ziemlich alles wegsteckt.«
Sie zuckte mit den Schultern und warf ihm einen Seitenblick zu. Er war ein interessanter Junge, so viel stand fest. Gut aussehend. Und obendrein noch nett. Trotzdem hatte er irgendetwas an sich … etwas, das sie nicht recht benennen konnte.
»Du siehst mich so fragend an«, meinte er. »Als würdest du versuchen, irgendeine harte Nuss zu knacken. Geht es um mich?«
»Nein, du bist leicht zu knacken. Du gehörst zur Kategorie der Raubtiere.«
Ben schlug sich vor Lachen auf die Schenkel.
»Wie kommst du denn zu dieser schockierenden Diagnose?«
»Ich kenne das aus den Natursendungen im Fernsehen. Du sitzt in deiner Höhle und wartest, bis die Beute vorbeigelaufen kommt. Wenn sie ganz nahe ist – zack! –, schlägst du zu.«
Ben blickte auf den schmalen Spalt zwischen ihren Beinen. »Aber sitzt du in diesem Fall nicht gefährlich nahe neben mir?«
»Kann sein«, erwiderte April. »Aber dieses Risiko gehe ich ein.«
Mit geradezu köstlicher Langsamkeit wandte Ben sich ihr zu, senkte den Kopf und küsste behutsam ihren Nacken.
»Oh«, sagte sie, während seine warmen Lippen über ihre nackte Schulter strichen und seine Hände über ihren Bauch und an ihrem Schenkel entlangwanderten. Oh ja , dachte sie und reckte ihm instinktiv das Gesicht entgegen.
Aber du darfst ihn nicht küssen , warnte eine Stimme in ihrem Kopf. Er ist ein Vampir . Doch die Stimme war kaum hörbar und der Augenblick viel zu herrlich, um ihr Beachtung zu schenken. Doch in dieser Sekunde löste Ben sich abrupt von ihr.
»Was ist?«, fragte April. »Willst du mich denn nicht küssen?«
»Natürlich will ich. Aber … ich will die Situation nicht ausnutzen. Nicht, solange du dir über deine Gefühle zu Gabriel nicht im Klaren bist. Das wäre nicht gut.«
»Ich kann nicht immer nur Dinge tun, die gut für mich sind«, sagte sie und hob vielsagend eine Braue. Ben lachte.
»Okay, ich mache dir einen Vorschlag: Solltest du morgen nach der Schule immer noch der Meinung sein, dass du nichts mehr mit Gabriel Swift zu tun haben willst, und, obwohl du nüchtern bist, immer noch an mir interessiert sein, dann ruf mich an, und ich bin in drei Minuten da.«
»Drei Minuten?«
»Okay, zwei. Aber ruf mich an, okay?«
»Oh, das werde ich«, sagte April. »Wart’s ab.«
Sechsundzwanzigstes Kapitel
E rst als April die Haustür aufschloss, fiel ihr wieder ein, dass sie den ganzen Tag Schule geschwänzt hatte. Sie war so hin und weg von ihrem perfekten Tag gewesen, dass sie alles um sich herum völlig vergessen hatte. Es war bereits nach Mitternacht, aber Silvia war um diese Uhrzeit garantiert längst sternhagelvoll und schlief. Leise schloss sie die Tür hinter sich, schlich auf Zehenspitzen durch die Diele und hängte möglichst geräuschlos ihren Mantel auf. Dann verharrte sie kurz neben der Garderobe und lauschte. Es war still im Haus, in der Küche brannte kein Licht. Vielleicht hatte sie ja Glück. Vorsichtig zog sie Davinas Schuhe aus und trat mit dem nackten Fuß auf die unterste Stufe, in der Erwartung, dass sie gleich knarzen würde.
»Es ist nach Mitternacht, April.«
April bekam beinahe einen Herzinfarkt.
»Mum!«, stieß sie hervor und presste sich die Hände auf die Brust. »Wie kannst
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