Gefangene der Dämmerung: Ravenwood 2 - Roman (German Edition)
stimmt nicht. Auch wir treffen falsche Entscheidungen, so wie ihr auch. Rückblickend betrachtet hätte ich es dir erzählen müssen, aber du weißt ja selber, wie es damals war, mit dem Umzug und Dads neuem Job.«
»Du meinst, dass ihr euch ständig in der Wolle hattet.«
Ihre Mutter nickte.
»Auch das. Wahrscheinlich war uns beiden klar, dass wir dadurch nur noch weitere Streitereien heraufbeschworen hätten, deshalb haben wir das Thema gemieden. Tut mir leid.«
April stand auf und spürte, wie das Puddinggefühl in ihren Beinen allmählich nachließ. Sie gab es ja nur ungern zu, aber ihre Mutter hatte recht gehabt. Das Frühstück hatte tatsächlich geholfen. Ihr war zwar immer noch übel, aber bei Weitem nicht mehr so schlimm wie beim Aufwachen.
»Das spielt jetzt keine Rolle mehr. Trotzdem mag ich es nicht, wenn er hier ist. Ganz ehrlich, er ist der Rektor meiner Schule, aber trotzdem ist er mir unheimlich.«
Silvia grinste.
»Genau das hat dein Vater auch immer gesagt.«
Im selben Moment kam April ein schrecklicher Gedanke.
»Oh Gott, ich habe heute Philosophie bei ihm.«
»Ich bin sicher, er wird ganz diskret sein.«
»Trotzdem. Allein die Vorstellung, in seinem Unterricht zu sitzen … muss ich wirklich hingehen?«
»Ja. Ich werde dich sogar höchstpersönlich hinfahren.«
»Mum!«
»Keine Widerrede!« Silvia sah sie ernst an. »Hör mir zu, April. Ich weiß nicht, was hier los ist, aber ich mache mir ernsthafte Sorgen. Wie es aussieht, stochert die Polizei nur im Nebel herum, und ich will nicht, dass du allein durch die Gegend läufst. Was ich gestern Abend gesagt habe, war durchaus ernst gemeint – keine Nachtclubs mehr und Hausarrest bis auf Weiteres. Ich will zu jedem Zeitpunkt wissen, wo du bist.«
»Aber ich kann auf mich selber aufpassen, Mum!«
»Das ist keine Bitte. Hör auf, mich weiter zu reizen. Du kommst nach der Schule direkt nach Hause. Und du wirst dich nie mehr heimlich aus den Staub machen. Punkt.«
Es war, wie Silvia gesagt hatte. Mr Sheldon erwähnte die Vorfälle des vorherigen Abends mit keiner Silbe. Mehr noch – während der gesamten Stunde würdigte er sie keines Blickes. Benjamin Osbourne war der Einzige, der zu ihr herübersah. Er warf ihr ein verstohlenes Lächeln zu, doch April war zu sehr mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt, um ihn zu beachten.
Sie konnte nicht leugnen, dass sie Silvias plötzliche Sorge um ihr Wohlergehen genoss, und ebenso konnte sie nicht leugnen, dass es ziemlich egoistisch von ihr gewesen war, einfach abzutauchen, ohne jemandem vorher Bescheid zu sagen. Trotzdem kam ihr Silvias plötzlicher Mutterinstinkt ein bisschen merkwürdig vor, auch wenn sie nicht genau sagen konnte, weshalb. Offenbar lief ihr Gehirn noch nicht auf Hochtouren, trotzdem wurde sie das Gefühl nicht los, dass etwas faul war. Na gut, April war zweimal angegriffen worden, und die Zahl der Gewaltverbrechen im Viertel war drastisch angestiegen, doch das war bereits seit Monaten so, und bisher hatte Silvia nie Anstalten gemacht, sie zur Schule zu fahren. Weshalb also ausgerechnet jetzt? Hatte der Falke irgendetwas zu ihr gesagt? Hatte er Wind davon bekommen, dass Vampire in Highgate ihr Unwesen trieben? Womöglich war der Falke ja doch nicht derjenige, der in Ravenwood das Sagen hatte – sonst würde er wohl kaum erlauben, dass Davina kam und ging, wie es ihr gerade in den Kram passte –, doch er stand zweifellos in engem Kontakt mit denen, die die Fäden in der Hand hielten. Hatte er Silvia von den Vampiren erzählt? Bestätigten sich Mr Gills Befürchtungen im Hinblick auf sie etwa doch? Und was genau wusste der Falke? So viele Fragen, die sie nicht beantworten konnte. Ihr schwirrte der Kopf.
Silvia war zu Studienzeiten mit ihm zusammen gewesen. Wie könnte ihr entgangen sein, dass er ein Vampir war? Andererseits hatte auch sie erst geglaubt, dass Gabriel einer war, als sie ihm das Messer in den Bauch gerammt hatte. Und sie hatte Milo geküsst und auch ihn für einen ganz normalen Jungen gehalten. Im Wahrheit trugen Vampire nun mal keine Capes und verwandelten sich in Fledermäuse, so wie im Film. Sie konnte von Glück sagen, dass der Falke sie während der gesamten Stunde zufriedenließ und nicht mit Fragen behelligte – sie hatte kein Wort von dem mitbekommen, was er erzählt hatte. Auch als sie am Ende des Unterrichts an ihm vorbeiging, schenkte er ihr keine Beachtung. Vielleicht ist ihm die Szene von gestern Abend peinlich, dachte sie. Aber weshalb sollte es,
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