Gefangene der Dämmerung: Ravenwood 2 - Roman (German Edition)
von ihr ragte ein hoher Kirchturm empor, und davor befand sich eine Bushaltestelle. Obwohl sie nicht gerade versessen darauf war, nach Hause zu fahren und sich dem Zorn ihrer Mutter auszusetzen, blieb ihr wohl keine andere Wahl. Seufzend überquerte sie die Straße, als ihr die ungewöhnliche Bauweise der Kirche ins Auge fiel.
Auf der Spitze des Turms befand sich eine merkwürdige, von Säulen umgebene Pyramide . Sehr seltsam , dachte sie. Sieht irgendwie gar nicht nach Christentum aus .
»Ägypter!«, ertönte eine laute Stimme. April wandte sich um und sah einen alten Mann mit Zottelbart und einem verschlissenen, schmutzigen Mantel auf den Stufen stehen, der mit einer Flasche in der Hand auf den Turm deutete. »Die Ägypter wussten von der Macht der Pyramide!«, schrie er. »Sie wussten, einzig die Pyramiden können gewährleisten, dass die Dunkelheit draußen bleibt!«
Hastig ging April weiter, in der Hoffnung, dass der Alte ihr nicht folgte. Sie drehte sich noch einmal um, doch er war wie vom Erdboden verschluckt. Nein, da war jemand, aber es war nicht der Obdachlose, sondern ein großer, dunkel gekleideter Mann, der eilig die Straße entlanghastete, als versuche er sie einzuholen. Erschrocken bog April in eine enge, von schmalen Wohnhäusern gesäumte Straße, um ihn abzuschütteln, doch ohne Erfolg.
Wer zum Teufel ist das ?, dachte sie beklommen. Folgt er mir tatsächlich?
Sie bog um die nächste Ecke und sah sich um. Zu ihrem Entsetzen stand der Mann direkt vor ihr. Sein Gesicht war zu einem widerlichen Grinsen verzogen. April fuhr herum und rannte davon, zuerst nach rechts, dann nach links, immer weiter in Richtung Hauptstraße, doch nach wenigen Metern stellte sie fest, dass sie sich hoffnungslos verirrt hatte. Ihr Blick fiel auf ein in eine Steinmauer eingelassenes Tor. Sie schlüpfte hinein und schloss es hinter sich. Mit angehaltenem Atem presste sie sich gegen die Wand und lauschte, doch abgesehen vom steten Rauschen der Autos auf der Hauptstraße herrschte Stille.
Vielleicht war es ja nur ein Mann auf dem Heimweg , dachte sie. Vielleicht.
Erst jetzt bemerkte sie die Umrisse der bogenförmigen Steine in der frühabendlichen Dunkelheit. Sie befand sich auf einem Friedhof.
Wunderbar. Schon wieder auf einem Friedhof eingesperrt . Sie kauerte sich hinter einen der Grabsteine und zog ihr Handy heraus, während sie sich fragte, wen sie als Erstes anrufen sollte. Gabriel stand nicht zur Verfügung, ihre vermeintliche Beschützerin Miss Holden hatte sie im Stich gelassen, und ihre Mutter konnte sie nicht anrufen, weil sie sie ohnehin nur anschreien würde. Sie scrollte ihre Kontakte durch, bis sie auf DI Reeces Nummer stieß, die er ihr für den Notfall gegeben hatte. Das zählt wohl als Notfall , dachte sie und drückte die Wähltaste.
»Mr Reece, hier ist April Dunne«, sagte sie, als die Voicemail ansprang. »Ich glaube, ich werde verfolgt. Mir ist klar, dass das ziemlich paranoid klingt, aber könnten Sie mich vielleicht zurückrufen?«
Wieso waren die Leute eigentlich nie erreichbar, wenn man sie brauchte? Wo waren ihre Freunde? Ihre beste Freundin saß in Schottland, und die Einzigen außer Caro, die sie seit ihrem Umzug nach London kennengelernt hatte, waren Vampire. Sie hätte um ein Haar laut aufgelacht.
»Scheiß drauf«, flüsterte sie und wählte Caros Nummer. Sie könnte ihr keinen Vorwurf daraus machen, wenn sie nie wieder ein Wort mit ihr reden wollte, aber sie brauchte sie jetzt. Sie war die Einzige, die wirklich wusste, was April durchmachte; die Einzige, die verstehen würde, weshalb sie auf einem Friedhof hinter einem Grabstein hockte, während die meisten Leute längst zu Hause vor dem Fernseher saßen und ihre Lieblingsserie guckten.
»Bitte, nimm ab«, flüsterte sie. »Bitte …«
»April?«, fragte Caro kühl. »Ich dachte, wir reden nicht mehr miteinander.«
»Ich weiß ja, dass du stinksauer auf mich bist, weil … na ja, weil ich mich wie die letzte Idiotin benommen habe, aber ich brauche dringend deine Hilfe. Wieder mal. Wie immer.«
Frostige Stille.
»Und was ist mit deinen neuen Freunden?«, fragte Caro schließlich. »Ich dachte, sie wären dir neuerdings wichtiger.«
»Bitte, Caro. Es tut mir wahnsinnig leid, dass ich mich so dämlich benommen habe, aber ich brauche dich wirklich.«
»Was ist los?«, fragte Caro. Offenbar hatte sie die Verzweiflung in Aprils Stimme gehört. »Wo bist du? Und wieso flüsterst du?«
»Auf einem Friedhof irgendwo in der Nähe von
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