Gefangene der Dämmerung: Ravenwood 2 - Roman (German Edition)
stimmt’s?«
»Wie meinen Sie das?«
»Er konnte eine Lüge auch nicht auf sich beruhen lassen, sondern musste die Antworten in der Geschichte finden, an der er gerade gearbeitet hat, auch wenn er sich damit noch so sehr in Gefahr gebracht hat.« Der Pfarrer blieb stehen, um Atem zu schöpfen. »Vielleicht war er einfach zu neugierig.«
»Glauben Sie, ich sollte aufhören, nach den Antworten zu suchen, Mr Gibson?«
Er schüttelte den Kopf. »Ich fürchte, das wäre etwa so, als würde man dem Fuchs verbieten, Jagd auf Hühner zu machen. Wenn es in deiner Natur liegt, wirst du immer erst zufrieden sein, wenn du gefunden hast, wonach du suchst. Das Problem ist nur, dass man, wenn man einen Stein hebt, darunter oft Dinge vorfindet, die man eigentlich gar nicht sehen wollte.«
April lächelte dünn. Sie musste an ihre Mutter denken und daran, was sie getan hatte. An Benjamin, wie er auf dem Boden gelegen und verzweifelt seine Kehle umklammert hatte. Und an Layla, die mutterseelenallein in den Katakomben hatte sterben müssen.
»Ich glaube, diesen Stein habe ich schon angehoben«, sagte sie. »Und Sie haben recht. Was ich gesehen habe, hat mir gar nicht gefallen.«
Der Pfarrer musterte sie ernst.
»Die Dunkelheit zieht immer weiter herauf«, sagte er. »Ich glaube, es wird immer schlimmer.«
»Dann müssen wir alles dransetzen, um es zu verhindern«, gab sie zurück. »Selbst wenn man weiß, dass man selbst und andere verletzt werden könnten, muss man trotzdem den Weg gehen, den man für den richtigen hält. Das stimmt doch, oder nicht?«
Der Pfarrer starrte auf seine Füße und schob einen losen Stein beiseite. »Ich schätze, dies ist der Moment, in dem ich etwas aus der heiligen Schrift zitieren sollte, stimmt’s?«, sagte er. »Aber wenn ich ganz ehrlich sein soll, April – ich glaube, du bist jetzt auf dich selbst gestellt. Du betrittst Neuland, wenn man es so ausdrücken will. Dein Glaube wird dir nur bis zu einem gewissen Grad helfen, aber darüber hinaus wirst du darauf vertrauen müssen, dass du das Richtige tust.«
Sie kniff die Augen zusammen. »Ich glaube, das tue ich«, sagte sie. »Oder zumindest versuche ich es.«
Er drückte ihre Schulter. »Dann bist du vielleicht schon auf dem richtigen Weg.«
Aprils Blick fiel auf eine dunkel gekleidete Gestalt, die die Treppe heraufkam. Sie erkannte sie auf Anhieb, auch ohne das Gesicht zu sehen. Gabriel! Allein sein Gang, die perfekte Linie seiner Schultern und die Tatsache, dass ihr Herz schneller schlug, verrieten ihr, dass er es war.
»Ich sehe, du liebst ihn. Das ist sehr gut«, sagte der Pfarrer.
»Trotzdem höre ich da ein ›Aber‹«, meinte April.
»Er ist nicht der, der er zu sein vorgibt.«
»Aber Sie kennen ihn doch …«, protestierte April.
Er berührte ihre Hand.
»Oh, ich weiß, was er ist. Sie waren längst hier, als ich diese Gemeinde übernommen habe. Ich weiß schon sehr lange von ihnen.«
»Können Sie denn gar nichts tun? Irgendein ›Das Gute besiegt das Böse‹-Trick oder so?«
Der Pfarrer lächelte. »Wie gesagt, ich bin überzeugt von der Macht der Gebete, aber es gibt Dinge, gegen die sie nun mal machtlos sind. Manchmal müssen wir uns erheben und Gottes Werk selbst in die Hand nehmen.«
»Und nehme ich Gottes Werk in die Hand?«
»Das weißt nur du selbst. Ich weiß, dass du ihn liebst, und das ist auch gut, aber vergiss nicht, was er ist. Sie haben sich niemals vollständig unter Kontrolle. Man kann sie nicht bändigen.«
»Er ist ein anständiger Mann, Mister Gordon.«
Er nickte und schlug den Weg in Richtung Kirche ein. »Pass einfach auf dich auf.«
Gabriel sah atemberaubend aus. Wenn man bedachte, dass er erst zwei Tage zuvor schwere Verbrennungen erlitten und kaum noch Luft bekommen hatte, sah er absolut perfekt aus. Seine Haut war makellos, das Haar glatt und glänzend, und seine Augen funkelten, als er sie ansah.
»Was tust du denn hier?«, fragte sie und schlang die Arme um ihn. »Die Polizei überwacht doch den Friedhof, oder nicht?«
»DI Reece hat mich angerufen«, sagte er. »Alle Tatvorwürfe gegen mich werden fallen gelassen. Ich habe sogar den Eindruck, als wollte die Polizei weder mit mir noch mit uns oder dem Fall noch länger etwas zu tun haben. Wenn es nach ihr ginge, wäre das Ganze nie passiert. Sie konnte sogar verhindern, dass in den Medien über die Todesfälle berichtet wurde, und Benjamins Vater will offenbar unbedingt, dass Benjamins Tod nicht in der Öffentlichkeit breitgetreten
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