Gefangene der Dämmerung: Ravenwood 2 - Roman (German Edition)
Schreibtisch ins Auge.
»Wollen Sie verreisen?«, fragte sie.
»Tja, das ist die Frage. Wohin will man verreisen, wenn die Welt eine Auster ist?«
April lachte.
»Sie scheinen ja mächtig gute Laune zu haben.«
»Und ob und ob. Und eigentlich muss ich mich dafür bei dir bedanken, meine Liebe.«
»Bei mir? Warum?«
»Weil du mir in Erinnerung gerufen hast, worauf es im Leben wirklich ankommt. Tagaus, tagein sitze ich zwischen all den staubigen alten Wälzern und kümmere mich um meine Bestandslisten, statt einen Blick aus dem Fenster zu werfen. Tja, und eines Tages bist du hereingekommen und hast das Zauberwort gesagt. Na ja, vielleicht nicht direkt, aber du hast mich darauf gebracht.«
»Und was war das für ein Wort?«
»Marjorie«, erwiderte er sehnsüchtig.
»Die Schulbibliothekarin?«
»Genau die. Aus irgendeinem Grund war sie aus meinem Leben verschwunden, aber jetzt freien wir wieder umeinander.«
»Das ist ja wunderbar«, rief April. »Und Sie wollen sie zu einem Kurztrip einladen?«
»Ich habe zwar nicht die geringste Ahnung, was ein Kurztrip ist, aber tatsächlich hoffe ich darauf, die Flamme unserer Leidenschaft auf irgendeinem sonnigen Boulevard ein wenig wiederzubeleben. Auf Dauer übrigens. Ich werde den Laden hier verkaufen. Eine dieser Kaffeeröster-Ketten, die bei euch jungen Menschen anscheinend so beliebt sind, hat mir ein ausgesprochen großzügiges Angebot unterbreitet.«
April wurde flau im Magen. Schon wieder ein Erwachsener, der sich aus ihrem Leben verabschiedete. Einer der wenigen Menschen, die sich niemals zu verändern schienen, stellte plötzlich sein Leben auf den Kopf. Warum kann keiner länger als zwei Sekunden bleiben, wo er ist ?, dachte sie. Und offenbar verriet ihre Miene, wie enttäuscht sie war.
»Nimm’s nicht so schwer, mein liebes Mädchen. Ich hatte ja keine Ahnung, dass dir diese Staubfänger so viel bedeuten.«
April schüttelte den Kopf. »Es tut mir leid. Ich habe nur an mich gedacht. Ehrlich, ich freue mich, dass Sie ein neues Leben anfangen wollen. Ich hoffe nur, dass Sie mehr Glück als ich in der Liebe haben.«
Mr Gill griff nach seiner Thermoskanne mit Schottenmuster und schenkte April eine Tasse Tee ein.
»Hmm, dich bedrückt also etwas. Etwa eine Herzensangelegenheit?«
April spürte, wie ihr die Tränen in die Augen schossen.
»Entschuldigen Sie«, sagte sie, während sie das Papiertaschentuch entgegennahm, das Mr Gill ihr reichte. »Aber jemand, den ich sehr, sehr mag, befindet sich in großer Gefahr.«
»Und wie kann ich dir helfen?«
»Ich muss ein bestimmtes Buch finden. Ein äußerst seltenes Buch. Liber Albus heißt es.«
Mr Gill musterte sie mit besorgter Miene.
»Bist du sicher? Ist das wirklich der Titel des Buchs, das du suchst?«
»Ja. Warum?«
»Weil es tatsächlich extrem selten ist. Manche Sammler glauben, dass es sich lediglich um eine Legende handelt – um eines jener Bücher, die in Wahrheit gar nicht existieren, sondern einzig und allein dem Wunschdenken von Träumern entsprungen sind.«
April putzte sich die Nase.
»Aber es muss existieren , Mr Gill. Es ist meine einzige Hoffnung.«
»Nun ja, es geht mich natürlich nichts an, aber was willst du mit diesem Buch? Das Liber Albus ist ein okkultes Werk.«
»Ich weiß, aber es ist sehr wichtig, dass ich es finde.«
»Das spüre ich, meine Liebe. Aber ich bin mir nicht sicher, ob ich dir weiterhelfen kann. Wie gesagt, dieses Buch ist eine Legende. Niemand hat je ein Exemplar zu Gesicht bekommen, auch wenn immer wieder Gerüchte im Umlauf waren. Ein Antiquar aus München, mit dem ich früher einmal verhandelt habe, hat behauptet, er würde einen Sammler kennen, der das Buch besitzt. Aber ich bin noch nie jemandem begegnet, der das Buch mit eigenen Augen gesehen hat. Ich weiß nur, dass es nicht rechtens ist.«
»Nicht rechtens? Was meinen Sie?«
»Es ist gefährlich. Womöglich geht sogar etwas Böses von ihm aus.«
»Wegen der Zaubersprüche?«
Mr Gill nippte an seinem Tee und lehnte sich zurück. »Oh, ich bezweifle, dass sie tatsächlich funktionieren würden, meine Liebe. Es gibt eine Menge alter Bücher mit Zaubersprüchen, aber bei den meisten handelt es sich lediglich um Fragmente. So als würde jemand versuchen, das letzte Sonnenlicht des Tages zwischen Pergamentblättern zu konservieren. Nein, die Zaubersprüche machen mir keine Angst. Sondern die Menschen, die sich von derlei Dingen angezogen fühlen.«
»Sie wissen also nicht, wo ich ein Exemplar
Weitere Kostenlose Bücher