Gefangene der Dämmerung: Ravenwood 2 - Roman (German Edition)
»War es hier? Ist er hier gestorben?«
»Ja!«, schrie sie, riss sich los und stieß den Psychologen mit einer heftigen Bewegung von sich. »Das wollen Sie also, ja? Okay, ja, ich habe ihn hier sterben sehen, genau hier! Wollen Sie das von mir hören?«
»Was zum Teufel ist denn hier los?«, schrie Silvia, stürmte herein und trat zwischen Tame und April. »Für wen halten Sie sich eigentlich?«
»Sollen noch mehr Leute sterben, April?«, fuhr Tame fort, ohne Silvia zu beachten. »Vielleicht ist dir der Nächste, der stirbt, ja nicht egal!«
»Arschloch!«, schrie April und stürzte sich auf Dr. Tame. Silvia bekam ihre Arme zu fassen und zog sie zurück.
»Aufhören!«, rief sie. »Sofort! Was ist denn in Sie gefahren?«
»Kein Grund zur Sorge, Mrs Dunne«, sagte Dr. Tame seelenruhig. »Ich habe nur eine psychiatrische Technik namens kognitive Wahrnehmungskorrektur angewendet.«
»Es ist mir völlig egal, was Sie da gerade gemacht haben«, erklärte sie. »Sie verschwinden auf der Stelle aus meinem Haus.«
»Ich wollte April doch nur ihre Verantwortung vor Augen führen. Sie muss die Konsequenzen ihres Handelns erkennen, wenn sie sich weiterhin in Schweigen hüllt. Und wie ich sehe, hatte die Methode Erfolg. Wir verstehen uns doch, oder nicht, April?«
April starrte ihn finster an.
»Raus hier!« Silvia riss die Haustür auf. »Sie können sich darauf verlassen, dass Ihre Supervisoren von diesem Vorfall erfahren werden.«
Der Psychologe lachte. »Die werden begeistert von meiner Vorgehensweise sein.«
»Raus!«, schrie Silvia.
Tame strich sich das lange weiße Haar glatt und sah April ins Gesicht.
»Ich hatte recht, was dich angeht, stimmt’s, April Dunne?«
April reckte trotzig das Kinn.
»Nein, Dr. Tame. Ich bezweifle, dass Sie auch nur die leiseste Ahnung haben.«
»Oh, ich glaube, die habe ich sehr wohl. Du bist nicht wie die anderen Mädchen in Ravenwood. Du bist anders.«
»Wenn Sie nicht augenblicklich mein Haus verlassen, wird Ihnen gleich anders«, drohte Silvia. »Sie haben einen Riesenfehler gemacht.«
»Ach ja? Ich glaube, ich habe alles genau richtig gemacht. Wir sprechen uns noch, April.«
»Nicht solange ich es verhindern kann«, erklärte Silvia mit eisiger Stimme. »Wenn ich mit Ihnen fertig bin, können Sie von Glück sagen, wenn Sie überhaupt noch einen Ton rauskriegen.«
Sie schlug die Tür hinter ihm zu.
April lag im Bett und lauschte Silvia, die unten telefonierte.
»Absolut indiskutabel … ein wehrloses Mädchen, noch dazu in so einer schwierigen Phase … gerade mal siebzehn, Herrgott! Ich verlange, dass er auf der Stelle gefeuert wird!«
Sie wusste, dass Silvia bestens vernetzt war. Der Einfluss ihres Großvaters reichte noch weiter, sogar bis in die Polizeikreise, wo die Männer einander mit seltsamen Handschlag-Spielchen begrüßten, aber vermutlich würde es nicht mal ihre Mutter schaffen, dass Dr. Tame von dem Fall abgezogen wurde, auch wenn sie noch so tobte und schrie. Er hatte mit seiner Einschätzung, dass die höchsten Stellen wegen der jüngsten Häufung an Todesfällen überaus besorgt waren, durchaus recht gehabt: Niemand wollte, dass das Ansehen der Stadt noch weiter litt, weder die Polizei noch der Schulbeirat noch das Büro des Bürgermeisters. Seit Alix Graves’ Tod waren die Reporter reihenweise herbeigeströmt. Der Tod ihres Vaters hatte sie hellhörig gemacht, und Laylas Selbstmord hatte sie in ihren Vermutungen nur noch bestärkt, dass in Highgate etwas nicht mit rechten Dingen zuging. In der Post war bereits ein zweiseitiger Artikel über das »depressive Mädchen mit der tragischen Vergangenheit« erschienen, in dem sie Milos Tod schamlos breitgetreten und ein wenig schmeichelhaftes Porträt von Laylas Vater und seinen beruflichen Machenschaften gezeichnet hatten. April hatte keine Ahnung, ob Layla »depressiv« gewesen war – ihr war sie bestenfalls unangemessen selbstbewusst vorgekommen. Ihre größte Sorge schien gewesen zu sein, dass ihre neuen Schuhe Gnade vor Davinas kritischen Augen fanden. Aber dann hatte sie mit ansehen müssen, wie ihr Freund gestorben war. Milo mochte ein Dreckskerl gewesen sein, und ein Vampir noch dazu, aber sein Tod war bestimmt sehr schlimm für sie gewesen. Laylas Großmutter schien zu glauben, dass Laylas Gefühle für Milo sehr tief gewesen waren, auch wenn er sie nicht mit derselben Hingabe erwidert hatte. Vielleicht hatte sie Layla ganz falsch eingeschätzt. Vielleicht hatte sie ja doch so etwas wie ein
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