Gefangene der Dunkelheit
einer kessen Art, und die Intelligenz einer Gelehrten war deutlich in ihren Augen erkennbar. Aber neben Siobhan schien sie ihm fast puppenhaft, zu zart, um wirklich lebendig zu sein. »Aber ich nehme es ihr nicht übel.«
»Nein?«, konterte sie. »Warum ist sie dann nicht hier?«
»Isabel denkt, wir täten Siobhan unrecht damit, ihr nicht alles zu erzählen, was wir über Eure Suche wissen«, erklärte Orlando Simon.
»Das glaube ich in der Tat«, sagte die Herzogin. »Man kann es Lord Tristan vermutlich verzeihen. Er wurde gerade erst neu erschaffen. Aber nach dem, was in Charmot geschehen ist, solltet Ihr beide es besser wissen.« Tristan lächelte innerlich, als er sah, dass sowohl der Vampir als auch der Zauberer durch ihren Zorn getadelt wirkten wie Kinder. »Denkt nur, wie viel Qual vielleicht vermieden worden wäre, wenn Ihr mir nur die Wahrheit erzählt hättet.«
»Das hier ist etwas völlig anderes, Liebste«, erwiderte Simon und nahm ihre Hand. »Ich sagte dir schon, dass Siobhan Teil der Rebellenmacht war, die Tristans Schloss eingenommen hat. Und da ist noch etwas.« Er führte sie zu einem Stuhl. »Sie besitzt das Schwert aus der Zeichnung des Kelchs.«
»Siobhan hat es?«, fragte Isabel mit großen Augen. »Bist du sicher?«
»Sie hatte es«, korrigierte Tristan. »Ich habe es ihr abgenommen …« Er hielt inne, als er Orlandos Gesicht sah. »Was ist los?«
»Sie hat es sich zurückgeholt«, sagte der Zauberer. »Letzte Nacht, während Ihr beide auf der Jagd wart. Sie kam in die Kerker und durchsuchte Eure Sachen, bis sie es fand. Sie hat auch den Pfahl mitgenommen.«
»Und Ihr habt sie gesehen?«, fragte Simon bestürzt. »Ihr habt sie nicht aufgehalten?«
Orlando schaute zu Tristan. »Ich konnte es nicht.«
»Aber Ihr seid sicher, dass es dasselbe Schwert ist?«, unterbrach Isabel sie. »Ihr wisst, dass es dasjenige aus der Zeichnung ist?«
»Siobhan hat Tristan damit angegriffen«, erklärte Simon und legte eine Hand auf ihre Schulter, ungeachtet des Blickes, den er den Zauberer mit dem anderen Vampir wechseln sah. »Tatsächlich hat sie ihn fast vernichtet.«
»Seine Wunden sind stundenlang nicht verheilt«, stimmte Orlando ihm zu. »Hätte er nicht einen Zufluchtsort erreichen können, wäre der Sonnenaufgang sein Tod gewesen. Denkt Ihr immer noch, wir sollten Siobhan vertrauen?«
»Mehr denn je«, antwortete sie. »Wir brauchen sie.« Sie griff nach ihren Schriftrollen. »Wenn ich fertig bin, werdet Ihr mir vermutlich zustimmen.«
»Du hast etwas gefunden«, sagte Simon. Er grinste. »Also bist du doch nicht nur gekommen, um mich zu sehen.«
»Nicht nur«, räumte sie ein und erwiderte sein Lächeln einen Moment lang, bevor sie zu Orlando blickte. »Vor vier Tagen fand ich in den Katakomben in Charmot kaum verborgen einige weitere Texte.« Sie öffnete eine Schriftrolle auf dem Tisch. »Erinnert Ihr Euch an die Malereien an den Wänden?«
»Das ist unmöglich«, beharrte Orlando. »Wir haben sie genau geprüft. Da war kein Text …«
»Kein gemalter Text, nein, der war da nicht«, stimmte sie ihm zu. »Er war in den Stein gemeißelt.« Sie zeigte ihnen ein fast schwarzes Pergament, das mit weißen Schriftzügen einer Art bedeckt war, wie Tristan sie noch nie gesehen hatte. »Ich habe das Pergament über den Stein gelegt und mit einem Stück Holzkohle darüber gerieben«, erklärte sie. »Und ich habe viel entdeckt.« Sie griff nach der Hand ihres Ehemannes. »Orlando hat dich angelogen, Simon«, sagte sie. »Von Anfang an.«
»Nein«, beharrte der Zauberer, aber Tristan bemerkte, dass er blass geworden war. »Ich habe nicht …«
»Ihr habt Simon gesagt, Ihr wärt ein Diener des von Kivar ermordeten Kalifen«, unterbrach sie ihn.
»Nein«, erwiderte Orlando kopfschüttelnd. »Er hat das vielleicht geglaubt, aber ich habe niemals …«
»Ihr sagtet ihm, der Kelch würde ihn retten«, unterbrach sie ihn erneut. »Und dass er, wenn er ihn fände, wieder sterblich werden könnte.«
»Und das stimmt auch«, beharrte der Zauberer.
»Tatsächlich?«, konterte sie. Alle Anmut war von ihr gewichen, und als Tristan den Zorn in ihren Augen sah, dachte er, sie und Siobhan wären letztendlich doch nicht so verschieden. »Hört Euch das an«, sagte sie und las von der Schriftrolle ab.
» Und so wurde Lucan Kivar aus dem Reich der Götter und der Sterblichen verbannt und sein verfluchter Körper in die Nacht geschleudert, um quer über den Himmel zu brennen, bis er in einem fernen Land
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