Gefangene der Dunkelheit
der Lichtung widerzuhallen und wirbelte durch die Bäume, bis sie erneut erklang. »Mein Sohn.« Dieses Mal formte der Mund des toten Wesens die Worte, und die Stimme drang aus der zerstörten Kehle.
Er setzte sich unbeholfen wie eine Marionette auf. Er hob das Schwert hoch und führte es schwerfällig in einem so weiten Bogen herum, dass er sich fast die Kehle durchtrennt hätte, bevor er innehielt. Er ließ es fallen und hob es dann wieder hoch, dieses Mal langsamer und mit entspannten Schultern. Natürlicher. Lebendiger. Er lächelte erneut, ein schauerliches, fratzenhaftes, anzügliches Grinsen. Er stützte sich auf das Schwert und erhob sich taumelnd. Er benutzte das Schwert als Krücke und hinkte in den Wald davon.
Tristan fand im Wald Unterschlupf, eine von Menschen in einen Hang gegrabene Höhle. Wahrscheinlich war sie in der Zeit von Lebuin und seinen Briganten angelegt worden, als sie noch ein eher unbedeutendes Ärgernis und er noch ein Mensch war. Er verschlief den Tag, aber seine Ruhe wurde von Träumen von seiner Tochter und Siobhan, der wunderschönen Dämonin, die sich seine Frau nannte, gequält.
Irgendwann kurz vor Sonnenuntergang wurde der Traum düsterer und vertrauter. Er stand in einer goldenen Halle, benommen vom Fackellicht, das auf mit Edelsteinen besetzten Säulen tanzte. Der Boden war mit Leichen übersät, blasse Männer in englischer Rüstung, deren Kehlen aufgerissen waren. Er sah den Dämon, der ihn geschaffen hatte, den jungen Ritter mit dem langen, schwarzen Haar, mit seinem blutigen Schwert in Händen neben dem Podium in der Halle stehen. Eine dunkelhaarige Frau kniete mit erhobenen Händen vor ihm und flehte um den Tod. »Nein!«, rief ein kleiner Mann aus und trat eilig zwischen sie.
»Mein Sohn.« Er hörte die Stimme hinter sich erklingen, genauso wie im Wachzustand, ein Wispern im Wind. Er wandte sich so rasch wie möglich um, wobei sein Körper im Traum schwer und träge war, und dieses Mal sah er den Mann, der sprach. Er war groß und dünn, mit einem goldfarbenen, über und über in Scharlachrot bestickten Gewand bekleidet. Eigentümliche Symbole wie nichts, was Tristan jemals gesehen hatte, waren darauf zu erkennen. Sein hellrotes Haar hing lang und strähnig über seine Schultern, und sein Bart reichte ihm bis auf die Brust. »Mein Sohn«, wiederholte er und öffnete die Arme, als glaubte er, Tristan käme zu ihm. »Du bist großartig.«
»Wer seid Ihr?«, wollte Tristan wissen. Er konnte die anderen hinter sich reden hören, aber er konnte nicht verstehen, was sie sagten. Er griff nach seinem Schwert, erkannte aber, dass er keines hatte – keinerlei Waffen irgendeiner Art. »Was bin ich?«
Der große Mann in dem Gewand lächelte nur. »Ich werde zu dir kommen«, versprach er. Die Kontur seines Körpers veränderte sich allmählich und wurde kleiner und an den Schultern breiter. Das lange, fahle Haar wurde dunkler und kurz, das Gesicht glatt rasiert und jung. Etwas an dieser neuen Gestalt war vertraut, als hätte er ihn im Vorbeigehen in einer Menschenmenge gesehen. »Du wirst es verstehen.«
»Sagt es mir!« Tristan wollte einen Schritt auf die Männer zugehen, aber seine Füße wollten ihm nicht gehorchen. »Sagt es mir jetzt!« Aber der Traum verblasste und löste sich in nichts auf.
Er öffnete die Augen und sah den jungen Dämon, der ihn erschaffen hatte, mit einem Holzpfahl in der Hand auf sich hinabblicken. »Ihr!«, brüllte er und sprang auf, um ihn zu packen, woraufhin sie ineinander verschlungen über den Erdboden der Höhle rollten. Sein Schöpfer wollte ihm den Pfahl in die Brust rammen, aber Tristan ergriff dessen Handgelenk, drehte es und entwand ihm die Waffe. »Wer seid Ihr?« Er hob den Pfahl nun selbst an und sah ein angstvolles Flackern in den Augen des anderen Geschöpfs. »Was habt Ihr mir angetan?«
Der Dämon stieß den Pfahl schnell wie ein Blitz und kraftvoll beiseite, schlug ihn Tristan aus der Hand. »Was ich dir angetan habe?«, echote er lachend. »Dummkopf!« Tristan griff nach seiner Kehle, und der andere packte Tristans Arme und wollte ihn festhalten, woraufhin sie erneut über den Boden rollten. »Ich wollte dich befreien …«
»Ihr meint, mich töten.« Tristan riss sich los und schlug ihn, sodass sein Kopf nach hinten ruckte. Aber der Dämon erholte sich wieder, bevor Tristan seinen Vorteil nutzen konnte, entblößte Reißzähne wie Tristans eigene und griff ihn erneut an.
»Du bist bereits tot«, sagte er, erhob sich und zog
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