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Gefangene der Dunkelheit

Gefangene der Dunkelheit

Titel: Gefangene der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Marie Moning
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aufschaute.
    Ich starrte direkt in die Augen eines riesigen wilden Keilers mit rasiermesserscharfen Zähnen.

VIERUNDDREISSIG
    Wenn man dem Tod in die Augen schaut, vergeht die Zeit plötzlich ganz langsam.
    Oder lief hier in diesem Bereich alles in Zeitlupe ab?
    Als ich in die stechenden, gemeinen, gierigen kleinen Augen des kuhgroßen Wildschweins starrte, wusste ich nur eins: Seit mir zu Hause mein Handy in den Swimmingpool gefallen war, verlor ich ständig etwas. Eins nach dem anderen.
    Erst meine Schwester. Dann meine Eltern und jede Hoffnung, jemals wieder nach Hause zu gehen.
    Ich hatte versucht, die Tiefschläge sportlich zu nehmen, und ein neues Zuhause in einem Buchladen in Dublin gefunden. Zudem war ich bemüht gewesen, neue Freundschaften und Allianzen zu schließen und mich von meinen hübschen Kleidern, dem blonden Haar und meiner Liebe zur Mode zu verabschieden. Ich hatte meine Regenbogenfarben zugunsten verschiedener Schattierungen von Grau aufgegeben und schließlich das Schwarz willkommen geheißen.
    Dann hatte ich Dublin und meinen Buchladen verloren und gleich darauf mich selbst und meinen Verstand.
    Ich hatte gelernt, neue Waffen einzusetzen, und neue Möglichkeiten, am Leben zu bleiben, gefunden.
    Und auch die hatte ich verloren.
    Mein Speer war weg. Ich hatte kein Unseelie-Fleisch mehr und keinen Namen auf meiner Zunge.
    Ich hatte Christian gefunden und wieder verloren. Ich war ziemlich sicher, dass er von einem anderen Wirbel erfasst worden war als ich.
    Und jetzt hatte ich die Steine auch noch verloren. Der Beutel lag auf dem Boden weit hinter dem Keiler; die Lederschnüre waren zugezogen. Ich konnte nicht einmal auf eine zufällige Reise hoffen.
    Der schottische Dolch, den ich an meinen Unterarm geschnallt hatte, würde vermutlich nicht einmal die schuppenartige Haut der Bestie durchdringen.
    Mir kam ein Gedanke: Ging es nur darum? Wurde mir alles, was ich hatte, genommen? Tat das Leben so etwas? Brachte es einen dazu, alles, woran einem etwas lag oder woran man glaubte, zu verlieren, ehe es einen tötet?
    Ja, ich tat mir selber leid.
    Wem erginge es anders an meiner Stelle?
    Feuerwelten? Wasserwelten? Schroffe Felsen? Welche beschissene kosmische Macht entschied, wohin mich die Steine als Nächstes brachten? Verabscheuten die Spiegel diese blau-schwarzen Steine so sehr, dass ein Bereich, wenn er einen schon nicht ganz bis in die Unseelie-Hölle katapultieren konnte, einen absichtlich in Welten schickte, in denen besondere Gefahren drohten, um einen – äh, mich – schon vorher zu zerstören?
    Oder hatte meine Zerstörung, wie ich in letzter Zeit mutmaßte, bereits vor langer Zeit begonnen? Verborgen in schemenhaften Träumen und verlorenen Erinnerungen? Was war mir noch geblieben?
    Nichts.
    Ich hockte im Gras und funkelte einen Keiler mitwinzigen stechenden Augen böse an; ich hätte schwören können, dass mich die Bestie mit den Stoßzähnen bösartig angrinste.
    Schnaubend scharrte der Keiler mit den Hufen.
    Weil ich nicht wusste, was ich sonst tun sollte, schnaubte ich zurück, scharrte ebenfalls im Gras und gönnte ihm einen mörderischen Blick.
    Die stechenden Augen wurden noch kleiner. Er hob seinen klobigen Schädel und schnüffelte.
    Versuchte er, die Angst zu riechen? Zu schade. Einen solchen Geruch verströmte ich nicht. Ich war zu wütend, um Angst zu haben.
    Wo, zum Teufel, steckten alle, wenn ich sie brauchte … oh! Ich hatte schon einmal geglaubt, es gäbe keinen Ausweg, obwohl mir noch einer geblieben war.
    Während der Keiler mein Opfer-Potential einzuschätzen versuchte, blickte ich ihn finster an und zeigte ihm die Zähne, während ich eine Hand in meine Gesäßtasche schob.
    Ich beförderte mein Handy zutage. Wasser tropfte aus dem Gehäuse. War es überhaupt noch intakt? Obwohl ich mich bereits in der siebten Dimension befand, rechnete ich immer noch damit, dass die Dinge nach verständlichen Gesetzen funktionierten. Wie dumm von mir.
    Ich klappte das Mobiltelefon auf und legte es auf den Boden.
    Der Keiler zog den Kopf ein und bereitete sich auf einen Angriff vor. Ich wagte es nicht, das Handy ans Ohr zu nehmen. Ich drückte auf die Tasten. Erst die Kurzwahl von Barrons, dann IYCGM und schließlich das verbotene IYD. Meine derzeitige Situation konnte man durchaus als lebensbedrohlich werten.
    Ich wartete und wusste selbst nicht, worauf. Wahrscheinlich

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