Gefangene der Dunkelheit
Ich hatte sie eindeutig wachgerüttelt, in wenigen Minuten mehr Informationen preisgegeben als die GroÃmeisterin in Jahren und ihnen das Gefühl vermittelt, Macht zu haben. Rowena wollte sie klein halten.
Die alte Frau warf mir einen eisigen Blick zu und wandte sich ab, um ihre Schützlinge anzusehen. Sie machte keine Anstalten, für Ruhe zu sorgen â ich auch nicht. Mir war es recht, wenn sie sich aufregten. Irgendwann würde ich einschreiten und ihnen von meinen Plänen erzählen. Gruppen zusammenstellen und Aufgaben verteilen.
Rowena sah mich wieder an.
Ich vermutete, dass sie die Frauen ansprechen wollte, aber ich hatte nicht die Absicht, ihr zu helfen und die Menge zum Schweigen zu bringen. In ein paar Minuten würde ich hupen und mein Schlussplädoyer halten, das einen Aufruhr anzetteln sollte.
Die folgenden Ereignisse überstürzten sich förmlich.
Rowena nahm eine Trillerpfeife aus der Tasche und pfiff dreimal kurz und schrill. Die Frauen verstummten augenblicklich â offenbar waren sie trainiert, dieses Signal zu beachten. Dann ergriff sie das Wort, und ich konnte sie nicht mehr zurückhalten, ohne streitlustig und kleinlich zu wirken. Ich musste sie wohl oder übel aussprechen lassen; später, wenn sie fertig war, konnte ich sie vielleicht mit ihren eigenen Argumenten schlagen.
»Die meisten von euch kenne ich seit der Geburt«, sagte sie. »Ich habe eure Familien zu Hause besucht, zugesehen, wie ihr aufwachst, und euch hergebracht, sobald die Zeit dafür reif war. Ich hatte teil an eurenKämpfen und Triumphen. Jede von euch ist wie mein eigenes Kind.«
Sie beschenkte sie mit einem sanftmütigen Lächeln â die liebende Mutter in Person. Ich traute ihr kein bisschen und fragte mich, ob ich die Einzige war, die das beängstigende Bild einer Kobra mit Menschenzähnen vor sich sah.
»Wenn ich falsch gehandelt habe, dann bestimmt nicht, weil ich nichts für euch übrighabe, sondern viel eher, weil ich euch zu sehr liebe. Wie jede Mutter wollte ich, dass den Kindern nichts zustöÃt. Doch meine Liebe hat nicht verhindert, dass meine Töchter zu den Frauen herangewachsen sind, die sie werden sollten. Ich habe gefehlt, aber ich werde alles wiedergutmachen. Wir sind Sidhe-Seherinnen und verteidigen die Menschheit. Wir wurden dazu geboren und erzogen, die Feenwesen zu bekämpfen, und von heute an werden wir genau das tun.« Plötzlich löste sich ihre Milde in Luft auf. Sie straffte den Rücken und wirkte mit einem Mal einen Kopf gröÃer, als sie Befehle austeilte.
»Kat«, blaffte sie, »ich möchte, dass du eine handverlesene Truppe zusammenstellst, die sich sofort an die Arbeit macht und herausfinden soll, wie wir Eisen als wirksame Waffe einsetzen können. Fangt ein paar Unseelie â probiert es an ihnen aus. Eine zweite Truppe wird sich kundig machen, wo zugängliche Eisenvorräte zu finden sind, und uns eilends so viel wie möglich beschaffen.« Sie deutete mit der Hand auf den Bus hinter sich. »Wir haben genügend Gewehre für alle!«, schrie sie triumphierend, als hätte sie selbst dafür gesorgt. »Ich möchte Eisenkugeln dafür haben.«
Ich knirschte mit den Zähnen.
»Lest nach, wie man sie herstellen kann«, ordnetesie an. »Wenn es sein muss, baut eine Schmiede auf. Schickt Kundschafter nach Dublin â und, Katrina, du hast dich schon öfter als verlässlich und pflichtbewusst bewiesen â ich möchte, dass du die Kundschafter-Truppe anführst.«
Kat strahlte.
Ich kochte vor Wut.
Mir war klar, dass es das Klügste war, in dieser Situation zu schweigen. Aber leicht fiel mir das nicht. Ein Dutzend bissige Bemerkungen lagen mir auf der Zunge. Und ich hätte gern klargestellt, dass ich die Waffen besorgt hatte, ich herausgefunden hatte, dass uns Eisen weiterhelfen konnte, dass ich zum Kampf aufgerufen hatte, während die GroÃmeisterin vehement dagegen gewesen war. Aber ich konnte die Stimmung der Menge ganz gut einschätzen und spürte, dass sich die Frauen an den uralten Grundsatz hielten: Arrangiere dich lieber mit dem Schlechten, das du kennst, als mit Unbekanntem. Insbesondere wenn dir das bekannte Schlechte das geben möchte, was du dir wünschst.
Damit konnte ich nicht konkurrieren. Ich war das Unbekannte, und meine Presse war nicht gerade gut â nicht, solange Rowena Pressesprecherin
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