Gefangene der Magie
Geheimnisse der Magie beibrachte und sie die Geistermusik lehrte.
Es gab drei Arten von Geistermusik. Eine versetzte die Zuhörer in tiefen Schlaf. So tief, dass sie daraus vielleicht nie wieder erwachten. Die andere erzeugte reinste Freude und glückliches Lachen. Die dritte hatte sie bisher nur ein einziges Mal angewandt – und sich geschworen, dies nie wieder zu tun.
Ihr Hass und Groll waren nicht stark genug, dieses Versprechen jetzt zu brechen, den Menschen im Saal etwas so Schreckliches anzutun. Und sie war froh darüber. Das hätte sie sich nämlich niemals verzeihen können.
Außerdem hatte sie Ryan ihr Wort gegeben, mit ihrer Magie nur Freude zu bringen. Ein leises Lächeln huschte über ihre Lippen. Sie sollte zu ihrem Wort stehen.
Sie hörte noch, wie jemand Einwände wegen all des Eisens erhob, aber Kira wusste, dass sich Geistermusik von so irdischen Dingen nicht aufhalten ließ. Dann blendete sie ihre Umgebung aus und konzentrierte sich auf ihr Inneres.
Es war nicht einfach, viel Freude in sich selbst zu finden, wenn man hinter kalten Eisenstäben festsaß, aber ihre Mutter war eine gute Lehrerin gewesen. Die schmerzende Leere, die Kingsley hinterlassen hatte, die distanzierten Blicke der Menschen, die meinten, sie mit Geld kaufen zu können, den kaum zu ertragenden Verlust von Pooka und ihrer Freunde – all das verdrängte sie aus ihren Gedanken.
Stattdessen dachte sie an die Dinge, die sie glücklich machten. An das sanfte Rauschen des Windes in einer sternenklaren Nacht, an Pookas immerwährenden Frohsinn, an die kalten Winterabende, an denen sie in dicke Decken gekuschelt den Geschichten ihrer Mutter gelauscht hatte.
Und ohne es zu beabsichtigen, dachte sie auf einmal nur noch an Kingsley. Den Druck seiner Lippen auf ihren. Den Hunger, der ihre Brust zum Beben brachte. Wie er sie immer wieder neckte und gegen ihren Willen zum Lachen brachte. Zum ersten Mal stieß sie diese Gedanken und Gefühle nicht wütend von sich, sondern ließ ihnen freien Lauf. Genoss das Prickeln wie die ersten Sonnenstrahlen nach einem dunklen Winter.
Mit geschlossenen Augen und einem strahlenden Lächeln im Gesicht setzte Kira die Flöte an die Lippen und begann zu spielen.
Himmlische Klänge erfüllten den Saal, entlockten den Zuhörern heiteres Lachen und schenkten auch Kira Glückseligkeit. Sie konzentrierte sich voll und ganz auf das Spiel ihrer Finger, ließ sich nicht von der Musik hinwegtragen. Als Spieler durfte man niemals dem Bann der Geistermusik erliegen, das hatte ihre Mutter ihr früh eingetrichtert.
Wie von selbst flogen Kiras Finger über die Grifflöcher der Flöte. Zu viel des Nachdenkens und der Zauber verflog. Die Musik musste einen spielen, nicht umgekehrt. Das war das Geheimnis der Geistermusik.
Vergnügte Rufe und perlendes Gelächter drangen an ihre Ohren. Kira öffnete die Augen und blickte in die jauchzende Menge. Belustigt beobachtete sie, wie all die Lackaffen, die zuvor steif und bar jeder Emotion auf ihren klapprigen Holzstühlen gethront hatten, nun breit grinsend durch den Saal tanzten.
Bei einer kleinen Dosis konnte die Geistermusik der Freude und des Lachens ein Geschenk sein. Kira war jedoch weit davon entfernt, diesen Leuten ein Geschenk zu machen.
Sie spielte schneller.
Die rundliche Dame, die Kingsley gekauft hatte, schwang ihre Perlenkette wie ein Lasso und schnappte sich einen dürren Mann. Eng umschlungen fegte sie mit ihm durch den Saal.
Sie spielte schneller.
Ein älterer Mann war zu Boden gegangen. Seine Krücke lag außer Reichweite und der Knöchel schien seltsam verdreht. Dennoch versuchte er immer wieder, sich hochzuziehen. Tränen rannen über sein Gesicht. Kira wusste nicht, ob vor Schmerz oder Verzweiflung, dass er nicht mehr mittanzen konnte. Sie erinnerte sich an seinen gierigen Blick, als er in die Auktion eingestiegen war.
Sie spielte schneller.
Ryan tanzte nicht weit von ihr. Sie bemerkte, dass er alles tat, um in die Nähe ihres Käfigs zu gelangen, nur um seine Konzentration Sekunden später von ihrer Musik erneut zerschmettert zu sehen. Lachen sprudelte tief und ehrlicher, als sie es jemals von ihm gehört hatte, aus seiner Brust. Es war ein angenehmes Lachen. Eines, nach dem man sich auf der Straße umgedreht hätte, das man noch einmal hören wollte. Doch nicht nur Freude spiegelte sich in seinem Gesicht, sondern auch Misstrauen und Angst. Angst, vollends die Kontrolle über sich selbst zu verlieren. Kira lächelte.
Sie spielte
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