Gefangene der Sehnsucht
Tatsachen, von denen eine nicht länger als einen Moment, die andere aber ihm den Rest seines Lebens genommen hatte: fortgelaufen zu sein vor den Mördern seines Vaters und niemals mehr nach Everoot zurückgekehrt zu sein.
Aber jetzt … jetzt wollte er etwas. Er wollte Eva.
Seine Hand lag leicht auf ihrer Brust, und er sah ihr in die Augen, als er sein schandbares Selbst enthüllte.
»Er hat meinen Vater getötet. Das ist der Grund, warum ich bereit war, den König zu töten.«
»Ich denke, das war ein sehr brennender, drängender Wunsch«, sagte sie ruhig.
»Und als John meinen Vater tötete, bin ich davongelaufen. Ich sah, wie mein Vater auf die Knie fiel, und ich bin davongelaufen.«
Da war es, was in ihm brannte. Heraus ans Licht gekommen. Er musste den Mund öffnen, Luft zu bekommen.
Eva nickte langsam, nachdenklich. »Ja. Ich kann das verstehen. Aber das zu tun, war das einzig Vernünftige.«
Er fühlte sich unsicher bei dieser Bestätigung.
»Das ist genau das, was ein Mensch tut, wenn er sich Männern mit Schwertern gegenübersieht, die viel stärker und größer sind als er. Das ist es, was ich tun würde. Ich würde auch wagen zu sagen, es ist das, was dein Vater gewollt hätte, dass du es tust.«
Er konnte jetzt noch die Stimme seines Vaters hören, der ihm befahl zu fliehen, sogar noch, als er zu Boden fiel.
Sie sah ihn an. »Das ist es, warum du jetzt nicht das Vernünftige tust, nicht wahr, Jamie? Ry sorgt sich, dass du es darauf anlegst, getötet zu werden. Aber das wirst du jetzt nicht mehr tun, nicht wahr?« Sie legte die Hände um sein Gesicht und zog ihn zu sich herunter, ganz nah. »Ich würde es vorziehen, du bleibst hier. Bei mir. Wir werden an meinen Fluss gehen und die Dinge wachsen lassen.«
Er war erschüttert, brachte aber ein mattes Lächeln zustande. »Ich habe eine Frage, Eva. Und nur du kannst sie beantworten.«
Das Feuer im Kohlenbecken war heruntergebrannt, und nur eine Kerze spendete noch ihr flackerndes Licht. Der Mond stand hoch am Himmel und schickte seinen silbrigen Glanz durch die Ritzen der Läden. Eva betrachtete Jamie einen Moment lang, dann stützte sie sich auf einen Ellbogen und sah ihn an. Ihr Haar floss ihr über den Arm.
»Ich bin bereit«, sagte sie ernst.
»Warum hat John meine Mutter getötet?« Er zwang sich, seine Stimme gleichmütig klingen zu lassen. »Jahrelang hat er Geschenke in den Norden geschickt, wie er es oft getan hat bei Witwen und Waisen.«
Sie nickte. »Ja, John hat eine Menge Geduld mit denen, die ihm nicht wehtun können. Er hätte Falkner sein können. Jahrelang war er sehr freundlich gegen die Menschen auf Everoot.«
»Also warum?« Jamie löste seinen Blick von ihrem und schaute auf das Schimmern ihrer runden weißen Schulter, die unter ihrem dunklen Haar zu sehen war.
»Jamie, ich kann nicht sagen, ob John deine Mutter getötet hat oder nicht. Ich weiß mit Sicherheit, dass er d’Endshire getötet hat, denn das habe ich mit eigenen Augen gesehen. Er behauptete, er habe das Recht dazu gehabt. Ich weiß nicht, ob das so ist oder nicht. War es Verrat eines Kronvasallen, das zu tun, was sie getan haben?« Er hörte, wie sie einatmete. »Aber deine Mutter, die Countess … Jamie, ich denke, sie könnte an gebrochenem Herzen gestorben sein. D’Endshire war der zweite Mann, den sie geliebt hat, den der König umgebracht hat.«
Er hob den Blick. »Der zweite?«
Sie nickte langsam. Er ließ diese Neuigkeit einen Moment sacken, dann nickte auch er. »Was für einen Verrat hat es auf Everoot gegeben – was hat John behauptet?«
Sie schluckte. Er beobachtete, wie ihre Kehle sich bewegte. »Die Schätze.«
»Die Schätze«, wiederholte er.
»Es gab Gerüchte über Schätze in den Kellern Everoots, Jamie. In deinen Kellern.«
»Das weiß ich«, sagte er ruhig. Er hatte davon gewusst, seit er laufen konnte, weil sein Vater ihn die steile, verborgene Treppe hinter den herrschaftlichen Gemächern hinuntergeführt hatte, weil er ihn mitgenommen hatte in ein staubiges Gewölbe, das mit strahlendem edlen Metall und Steinen und anderen Dingen gefüllt gewesen war, die Jamie nicht verstanden hatte und die ihm nie erklärt worden waren.
Wenn die Zeit kommt, Sohn, hatte sein Vater gesagt, wirst du es erfahren. Eines Tages wirst du Everoot sein. Bis dahin werde ich oder ein anderer die Schlüssel bewahren.
Aber jetzt war sein Vater tot, und kein Bewahrer hatte sich ihm je gezeigt.
Eva sprach leise weiter. »Deine Mutter und Rogers Vater
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