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Gefangene der Sehnsucht

Gefangene der Sehnsucht

Titel: Gefangene der Sehnsucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kris Kennedy
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der Zeit zurück, verdrängten die grellen, lebendigen Schrecken seiner Kindheit, um sich der Dinge zu erinnern, die vor zehn Jahren in England geschehen waren und als »Massaker von Everoot« bekannt waren. Von Burg zu Burg getragen auf der Zunge der Barden, von der einen nach Urin stinkenden Gasse in die nächste auf der Zunge des gemeinen Volkes, waren die Gerüchte umgegangen, dass der König einen seiner Großmagnaten in einem Anfall überschäumender Wut getötet hatte.
    Zum zweiten Mal.
    Zehn Jahre zuvor hatte Englands langsame innere Auflösung begonnen, als Johns großer Plan, die Normandie zurückzufordern, zu Zwist und doppeltem Spiel zerfallen war. Sogar William Marshall, Earl von Pembroke, wurde des Verrats angeklagt. Die Invasion wurde abgebrochen. Jamie war in jenem Frühling zusammen mit Hubert de Burgh in Chinon stationiert gewesen und hatte mit eigenen Augen den französischen König Poitou und Anjou erobern sehen.
    Dann war einige Monate darauf der Erzbischof von Canterbury gestorben, und der offene Streit zwischen Kirche und Krone, der einige Jahre später mit der Exkommunikation des Königs endete, war offen ausgebrochen.
    Dies waren ernsthafte Schläge für Johns Macht und Ansehen gewesen. Als Reaktion darauf war er davongeritten, hatte Unterwerfungen eingefordert und die Treue von seinen Lords, hatte Kinder von seinen Baronen als Geiseln genommen, hatte mächtige Männer beleidigt, obwohl er deren Loyalität gebraucht hätte.
    Der eine Lehnsbesitz, der weder Geiseln hatte stellen noch sich hatte unterwerfen müssen, war die große Grafschaft Everoot gewesen. Natürlich nicht, denn es gab keinen Earl – er war zehn Jahre zuvor gestorben, nach der Rückkehr vom Kreuzzug. Sein Tod hatte dem König den Besitz praktisch in die Hand gedrückt. Aber König Richard hatte das Earldom nicht eingezogen oder neu besetzt, sondern darauf gehofft, dass der Erbe gefunden werden würde, und hatte weiter Burgen in Frankreich gebaut; es hatte viele Dinge gegeben, die das Interesse von Richard Löwenherz gefesselt hatten.
    Um das Interesse seines Bruders John zu fesseln, hatte es nicht so viele Dinge gegeben. Kaum dass er sich die Krone aufs Haupt gesetzt hatte, hatte John einen Gefolgsmann mit Everoot belehnt, der den Besitz verwalten und sich der eigenständig denkenden verwitweten Countess annehmen sollte. Johns Wahl fiel auf einen der wenigen königstreuen Barone des Nordens, seinen bewährten Lieutenant Lord d’Endshire.
    Und dann, nach der fehlgeschlagenen Invasion, hatte König John, erschöpft von dem aufreibenden Werk, seine Barone zu quälen, auf Everoot Einkehr gehalten. Weil er eine Ruhepause brauchte. Er hatte sich einen herzlichen Empfang ausgemalt. Er hatte erwartet, auf einen widerstandslosen Lehnsbesitz und einen gehorsamen Vasallen zu treffen. Doch nichts davon hatte er bekommen.
    Stattdessen sah oder hörte oder entdeckte König John etwas, was ihn aus dem Gleichgewicht und in eine allumfassende Wut versetzte. Und irgendwie – niemand wusste es genau, weil all jene, die in jener Nacht dort gewesen waren, entweder tot oder aus anderen Gründen stumm waren – endete es damit, dass Lord d’Endshire tot und sein fünfjähriger Sohn verschwunden war.
    Gerüchte kursierten, dass ein Kindermädchen den Erben genommen und mit ihm geflohen war. Dass Mouldin auf ihre Spur gesetzt worden war, wie ein Wolf, der einen Hasen jagte. Manche sagten, er hätte die Kinder gefangen. Andere behaupteten, nein, sie wären auf Nimmerwiedersehen verschwunden.
    Jamie starrte durch die orangeblauen Flammen und wusste jetzt, dass die Gerüchte wahr gewesen waren, denn dieses »Kindermädchen« saß ihm gegenüber. Ein Mädchen, dem gelungen war, was nicht einmal mächtige Barone, die in die Wildnis Irlands geflohen waren, geschafft hätten: dem Zorn des Königs zu entkommen. Mit einem Kind im Schlepptau.
    Roger, der d’Endshire-Erbe, der auf unsicheren Beinen durch diese Wälder stolperte. An Evas Hand.
    »Wie alt wart Ihr?«, fragte er leise.
    Sie wandte das Gesicht ab. »Dreizehn.« Es klang wie ein Sichergeben. Es klang wie Scham.
    Gleiche erkannten gleiche.
    Jamie stand auf, ging um das Feuer und kniete sich neben sie. Schweigend zog er seinen Dolch und durchschnitt ihre Fesseln. Die Stricke fielen auf den Boden, aber Eva hielt ihre Hände vorgestreckt, die Handgelenke aneinandergepresst.
    »Ihr habt mich gar nicht gefragt, ob das nicht auch nur ein Winkelzug von mir ist«, sagte sie mit zitternder Stimme.
    »Ich

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