Gefangene des Engels - Pierce, M: Gefangene des Engels - The Darkangel Trilogy: The Darkangel (1), A Gathering of Gargoyles (2), The Pearl of the Soul of the World (3)
Fußsohlen, damit ich nicht entkommen konnte, selbst wenn es mir gelingen sollte, die Kette zu sprengen.«
Aeriel war entsetzt. So behutsam wie möglich reinigte sie die Füße des bemalten Mädchens und benutzte dazu den Saum ihres Wüstengewandes. Plötzlich stieß das Mädchen seltsame Laute aus. Aeriel wusste nicht, ob es lachte oder weinte.
»›Ich liebe deine dunkle Schönheit‹«, stieß sie hervor. »›Ich liebe deine dunkle Liebe.‹«
Aeriel verstand nicht, was sie damit sagen wollte. Das bemalte Mädchen weinte jetzt; dann nahm es den Schleier von seinem
Gesicht. Da sah Aeriel voller Überraschung, dass es nicht dunkel bemalt war, sondern die weißen Flecken in seinem Gesicht von heller Farbe herrührten.
»Das pflegte er zu mir zu sagen«, sprach das Mädchen weiter. »›Meine dunkle Schönheit, meine dunkle Liebe, eher opfere ich meine eigene Tochter dem Vogel als dich.‹«
Sie wandte wieder den Kopf ab. Aeriel sagte eine Weile nichts. Irrylath, Irrylath … Plötzlich musste sie nur noch an ihn denken und wusste nicht, warum. Sie sah das Mädchen an. Seine Haut war so schwarz wie die des Jungen auf der Insel im Sandmeer. »Ich habe nicht geahnt, dass du so dunkel bist«, murmelte sie schließlich. »Ich dachte, die Farbe …«
Das Mädchen rieb mit der Hand über seine Wange. »Das?« Die Farbe klebte an ihren Fingerspitzen. »Wie eine Braut geschminkt … Sie wollten ihm diesmal mehr als nur eine Mahlzeit anbieten.«
In plötzlicher Wut rieb sie sich die weiße Schminke ab. Aeriel hielt den Atem an. Ungewollt stieg ein Gedanke in ihr auf. Auch ich war die Braut eines Engels der Nacht. Falscher Geliebter. Falsche Liebe.
Aeriel wusch das bemalte Mädchen. Sie nahm Ambra aus ihrem Bündel und strich es über die Wunden. Sorgsam verband sie sie dann mit dem Schleier des dunkelhäutigen Mädchens. Aeriel berührte seine Füße wieder.
»Schmerzen sie noch?« Die andere schüttelte den Kopf. Ihr Haar war zu vielen kleinen Zöpfen geflochten. »Warum weinst du dann?«
Das dunkelhäutige Mädchen sagte: »Als ich im Haus des Majis
lebte, sagten die Hellhäutigen: ›Wenn ich frei bin, gehe ich nach Rani‹, und die Blauhäutigen sagten: ›Nach Bern. Wo meine Familie lebt. Wo ich geboren wurde.‹ Aber wo lebt meine Familie? Wo wurde ich geboren?«
Sie schauderte, schlang die Arme um ihren Oberkörper.
»Meine erste Herrin kaufte mich von einem Händler aus Bern, der nicht wusste, wo ich herstamme. Ich habe noch nie von einem Land gehört, wo Menschen wie ich leben.«
Sie sah Aeriel an.
»Der Majis ließ mich völlig frei herumlaufen. Er wusste, dass ich nicht fortlaufen konnte. ›Du wirst mich nie verlassen, mein schwarzes Küken‹, sagte er. ›Du kannst ja nirgends hingehen.‹«
Aeriel kniete nieder und legte ihre Hand auf die Hand des Mädchens. Zum ersten Mal hatte sie keine Angst mehr, nach Orm zu gehen.
»Begleite mich eine Weile«, sagte sie. »Auch ich war einmal eine Sklavin. Ich habe keine Familie und kein Heim, ich gehe, wohin ich will. Aber ich weiß, woher du stammst. Ich bin dort vorbeigekommen, als ich das Sandmeer überquerte. Jetzt muss ich nach Terrain, aber dann überquere ich das Meer wieder. Ich nehme dich mit, wenn du willst.«
Das dunkelhäutige Mädchen sah sie an.
»Wie heißt du?«
»Erin«, antwortete die andere. Sie weinte nicht mehr.
»Ich bin Aeriel.« Sie bot Erin ihr letztes Wasser an, und diesmal trank sie. »Warum nanntest du mich ›Geist‹ in dem Obstgarten? «
»Ich sah dich nicht kommen. Du tauchtest plötzlich wie eine
Erscheinung auf. Deine Haut war so weiß. Ich hielt dich für den Geist des Obstgartens.«
Aeriel lachte. Das Mädchen stand auf, lehnte sich gegen den Baum. Aeriel wollte Erin helfen, doch sie schüttelte den Kopf. »Ich kann gehen. Die Schnitte sind nicht tief. Er ist viel zu feige, um tief zu schneiden. Aber er hat Salz in die Wunden gerieben, damit sie brennen. Womit hast du sie bestrichen?«
»Mit Ambra.«
»Jetzt brennen sie nicht mehr.«
Sie marschierten weiter durch Zambul, folgten keiner Straße, nur dem Flug des Reihers. Die Hügel waren jetzt bewaldeter. Nicht lange nach ihrer zweiten Rast holten die beiden Gargoyles sie ein. Aeriel umarmte sie und lachte vor Freude und Erleichterung. Mit heraushängenden Zungen umtänzelten sie sie.
Sie sahen abgekämpft, aber unverletzt aus. Aeriel streichelte das geflügelte Tier. Es rieb seinen Kopf an ihrer Hand, und aus seiner Kehle drang ein Ton wie das Summen von
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