Gefangene des Engels - Pierce, M: Gefangene des Engels - The Darkangel Trilogy: The Darkangel (1), A Gathering of Gargoyles (2), The Pearl of the Soul of the World (3)
Sternenpferds ihn unvermutet heiligsprechen,
Und eine Diamantenklinge seine kalte Brust durchstechen.
Allein dann erheben sich des Krieges Held und Schimmel,
Die Kampfgenossen alle, und beben wird der Himmel.«
Der kleine Mann verschränkte die Arme und nickte, während er zuhörte.
»Gut so. Schön, mein Kind. Vergiss es nicht. Wie ich dir schon sagte, ich weiß nicht, wie lange diese Reise dauert. Ich versuche, den Vampir aufzuhalten, und werde dir Verstärkung schicken, falls ich kann.« Er stutzte. »Oh, beinahe hätte ich’s vergessen.«
Er griff in eine seiner vielen Rocktaschen, zog einen kleinen schwarzen Samtbeutel hervor, der oben mit einer Schnur zugebunden war, und reichte ihn ihr.
»Ich habe ausreichend Vorräte für deine Reise hineingetan«, sagte er.
Aeriel starrte den Beutel verblüfft an. Er lag leicht und schlaff in ihrer Hand. »Aber er ist leer«, sagte sie.
Talb lächelte. »Nicht ganz. Öffne ihn und schau hinein.«
Aeriel tat, wie ihr geheißen. Im Innern war er dunkel und leer. »Nun schließe deine Augen und greif hinein!«, befahl der Zwerg.
Aeriel gehorchte. Sie fühlte etwas Glattes, Rundes von der Größe einer Faust. Sie holte es heraus und hielt eine blassgoldene Frucht in der Hand.
»Greif nochmal hinein!«, forderte Talb sie auf.
Diesmal brachte sie eine Auster zum Vorschein, die frisch und kühl war. Der Zwerg bat sie nochmal hineinzugreifen, und sie zog eine Handvoll Mandeln hervor, danach einen gekochten Krebs in Blätter gewickelt. Ein weiterer Griff, und eine ganze Traube weißer Weinbeeren kam zum Vorschein. Sie sah den Zwerg erstaunt an. Er lächelte nur bescheiden und errötete leicht.
»Ach ja, meine Liebe, ich kann ein bisschen zaubern. Im Laufe der Jahre kommt man einfach nicht umhin, ein paar Dinge hinzuzulernen …«
Ein Schrei unterbrach ihn, und dann folgte ein Krachen, das ziemlich weit stromaufwärts aus den Höhlen kommen musste. Es klang, als wäre eine schwere Tür aufgestoßen worden. Aeriel rang nach Luft. Talb wurde ganz blass.
»Beim Pendarlon«, murmelte er, »ich bin nicht mal halb so gut als Zauberer, wie ich dachte. Er hat schon den Weg nach draußen gefunden. Schnell, Aeriel, ins Boot!«
Aeriel hatte keine Zeit zum Nachdenken. Der Zwerg stupste sie in das kleine Schiff, das trotz seiner leichten Bauweise kaum tiefer ins Wasser sank, als sie es bestieg und hinter dem Mast auf der Ruderbank Platz nahm. Sie legte die goldene Melone und andere Nahrungsmittel in den schwarzen Samtbeutel zurück und befestigte ihn an ihrem Gürtel.
Unterdessen löste der Zwerg die Vertauung, und das Schiff sprang vom Uferrand weg wie ein Streitross, das mit verhängtem Zügel in die Schlacht stürmt. Er hatte kaum noch Zeit, das Seil ins Boot zu werfen, so schnell war es außer Reichweite. Aeriel drehte sich um und wollte ein Lebewohl rufen, doch Talb legte
den Finger an die Lippen und zeigte stromaufwärts, wo der Vampir sein musste, obwohl man ihn nicht mehr hören konnte.
Aeriel hatte gerade die Hand zum Winken erhoben, als Windauf-dem-Wasser schon durch einen gewölbten Durchlass in die nächste Höhle schoss und der kleine Mann am Ufer ihrem Blick entschwand. Aeriel saß bewegungslos da und blickte nach achtern. Plötzlich fühlte sie sich einsam und verlassen. Nach einer Weile seufzte sie und ließ die Hand sinken, dann drehte sie sich um und blickte nach vorn, um zu sehen, wohin das Boot sie tragen würde.
8
Aeriels Flucht und die Suche nach dem Sternenpferd
D ie Reise war lang und geschwind zugleich. Der Fluss bog erst nach rechts, dann nach links ab und schien in einer seltsam unregelmäßigen Spirale unter dem Schloss des Vampirs in die Tiefe zu fließen. Stets ging es abwärts durch endlose Reihen natürlicher Höhlen. Einige waren geräumig, von teils riesigem Ausmaß, mit Säulen und spitzen Sockeln aus kristallinem Kalkstein. Andere waren lang und niedrig, eher Tunnel als Gemächer.
In einer dieser Höhlen befand sich eine Öffnung oben im Fels, durch die Aeriel die Sterne sehen konnte. In ihrem fahlen Licht und dem helleren Glanz des Flusses entdeckte sie Fledermäuse. Wie Silbermotten flogen sie durch die Öffnung und in der Höhle umher, und viele von ihnen hingen wie zitternde Blätter an den Wänden und der Decke. Ihr Piepsen, oder das, was sie davon hören konnte, klang hoch und schrill. Aeriel lachte und war überrascht, als sie feststellte, wie tief ihre Stimme dagegen wirkte.
Eine andere Höhle, die sie Stunden später durchfuhr,
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