Gefangene des Engels - Pierce, M: Gefangene des Engels - The Darkangel Trilogy: The Darkangel (1), A Gathering of Gargoyles (2), The Pearl of the Soul of the World (3)
verschlingen.
Der Löwe neigte den Kopf mit vollendeter Grazie und erwiderte: »Es wäre mir eine Ehre.«
Sie griff in den Beutel, stopfte aber die Rosenbirne wie auch das Bündel Zuckerrohr zurück. Das war nicht das Richtige für einen Löwen. Schließlich fand sie etwas Brauchbares; einen gekochten Flusskrebs. Sie hielt ihn ihm ängstlich hin, denn sie fürchtete, er würde ihn mitsamt ihrer Hand zwischen seinen gewaltigen Kiefern zermalmen. Stattdessen beugte er sich herab und holte ihn äußerst behutsam aus ihrer kleinen Hand. Dann nahm er das Krustentier zwischen die Tatzen und begann nun mit solchem Anstand und solcher Würde zu speisen, dass sie es einfach nicht glauben konnte. Sie kam sich dumm und unerzogen vor, während sie an dem kleinen runden Käse nagte, den sie für sich aus dem Beutel genommen hatte.
»Möchtest du noch etwas?«, fragte sie schnell, als er den Krebs aufgegessen hatte.
»Nein danke, meine Tochter«, sagte er höflich. »Heb den Rest für dich auf.«
Aeriel begriff nun, dass er ihre Einladung nur aus Höflichkeit
und nicht weil er hungrig war angenommen hatte. Sie freute sich, dass er nicht gefräßig war. Sie knabberte an ihrem Käse und fühlte sich sehr erschöpft.
»Du hast mich vor dem Vampir gerettet«, sagte sie schließlich. »Warum?«
»Es ist meine Pflicht, alle Lebewesen innerhalb der Grenzen meines Reichs zu beschützen, mein Kind«, antwortete die große Katze. »Und außerdem mag ich die Vampire nicht besonders.«
»Ich hab dich gar nicht gesehen, ehe er auftauchte. Warst du etwa die ganze Zeit in der Nähe?«
»Oh nein, meine Tochter, nein. Ich bin von sehr weit herkommen, um dich zu finden.«
»Mich zu finden?«, fragte Aeriel. Ihr Kopf war schwer; sie stützte ihn mit der Hand. »Du wusstest also, dass ich komme?«
Der Löwe nickte. »Ein weißer Reiher berichtete mir, dass du bei Sonnenaufgang meine Südgrenze überschreiten würdest. Ich war schon einige Stunden auf der Suche, ehe ich dich entdeckte.«
»Ein weißer Reiher«, murmelte Aeriel. »Wind-auf-dem-Wasser. «
»Mag sein, dass er einst so hieß«, sagte der Löwe. »Aber als er zu mir kam, nannte er sich Schwingen-im-Wind .«
Aeriel schwieg. Ihre Lider schlossen sich; sie war gesättigt. Sie fühlte sich ruhelos und schläfrig zugleich. Langsam schwankte der Himmel zu ihrer Linken.
»Leg dich auf den Sand, mein Kind«, sagte der Löwe wie aus weiter, weiter Ferne. »Deine Sinne schwinden.«
Aeriel legte sich auf den Sand, und die Welt kam zur Ruhe. »Ich muss das Sternenpferd finden«, murmelte sie.
Der Löwe beugte sich über sie. »Tochter, ich kenne deinen Auftrag«, sagte er. »Der weiße Reiher berichtete mir davon. Aber du hast viel Blut verloren, und es wird eine Weile dauern, bis die Wunde heilt. Ich werde dich dem Wüstenvolk anvertrauen. Sie werden dich pflegen, bis du genug Kraft für die Wüstenreise hast.«
Aeriel schüttelte den Kopf und murmelte etwas. Sie wollte nicht warten; sie hatte keine Zeit. In wenigen Monaten würde der Vampir eine weitere Braut, seine letzte, holen. Sie musste das Sternenpferd finden und mit ihm zu dem Zwerg zurückkehren, ehe es zu spät war.
Aber sie war zu schwach, um dem Löwen zu widersprechen. Ihre Augenlider fielen zu, und sie glitt in einen sanften Schlummer. Später erwachte sie halb, vielleicht träumte sie auch nur: Es war ein Traum voller fremdartiger Musik, die auf Flöten und Trommeln gespielt wurde, und ein langer Zug dunkelhäutiger Menschen mit Fahnen und Wanderstöcken, deren Anführer eine groß gewachsene Frau war, die sich mit dem Löwen beriet. Aeriel konnte nicht hören, was sie sagten, aber von Zeit zu Zeit warfen die beiden einen Blick auf sie.
Dann gingen der Löwe und die Frau. Aeriel sah die große Katze über die Dünen verschwinden. Die dunkelhäutigen Menschen kamen und standen um sie herum. Dann hoben sie Aeriel vorsichtig auf eine Tragbahre und trugen sie fort.
9
Sonnenfinsternis
D as Volk der Ma’a-mbai war groß und dunkelhäutig. Ihre Hautfarbe war die schwärzeste, die Aeriel je gesehen hatte: eine Mischung aus Dunkelrot und Zimt. Sie trugen lockere, ärmellose Überwürfe aus weißer Baumwolle und lange Wanderstöcke mit geschnitztem Knauf. Sie besaßen nur wenige Habseligkeiten, sprachen untereinander so sanft wie der Wind im Schilfgras und hatten kurzes, krauses Haar.
Als Nomaden durchstreiften sie die Wüste nach Wild und anderem Essbaren. Sie hatten ihr die zerrissene blutige Tunika ausgezogen und ihr
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