Gefangene des Engels - Pierce, M: Gefangene des Engels - The Darkangel Trilogy: The Darkangel (1), A Gathering of Gargoyles (2), The Pearl of the Soul of the World (3)
hat?«
Dann ging er schnell von ihr weg, ohne sich umzusehen. Aeriel stand sehr ruhig da. Ihr Herz fühlte sich an, als wäre es aus Stein. Sie fürchtete, es könnte zu Staub zerfallen, wenn sie sich zu schnell bewegen oder zu tief einatmen würde.
Sie beobachtete, wie er die Pfeile aus der Zielscheibe zog. Als er sich umdrehte und sie bemerkte, schrak er zusammen. Da wusste sie, dass er dachte, sie wäre gegangen. Nach einer Weile kam er auf sie zu. Seine fahlen Kleider schimmerten in der Nacht. Kurz glaubte sie, er wäre wieder der Engel der Nacht.
Er runzelte die Stirn, als er näher kam. Das löste ihre Erstarrung. Sie drehte sich um.
Er rief: »Warte.«
Voller Überraschung blieb sie stehen, weil sie seine Hand auf ihrem Arm spürte. Zum ersten Mal, seit sie in Isternes lebten, hatte er sie berührt.
»Du weinst.«
Sein Ton war jetzt viel sanfter, sein Atem ging immer noch schnell. Aeriel blinzelte und spürte erst dann Tränen warm über ihre Wangen laufen.
»Aeriel«, sagte er. »Aeriel, weine nicht.«
Sie hörte ihn kaum. Vor Entsetzen fühlte sie sich ganz leicht. Sie wollte sprechen, aber ihre Worte ertranken im Schluchzen. Sie fühlte, wie der Griff des Prinzen sich verstärkte. Mein Mann, dachte sie. Was habe ich getan? Die Weiße Hexe hat dich einst in einen Vampir verzaubert. Was habe ich dir getan, dass du so grausam bist?
»Ich wollte dir nichts antun«, konnte sie schließlich sagen,
»als ich dir dein Herz herausschnitt. Ich wollte dich nur aus der Gewalt der Lorelei befreien.«
Sie konnte ihn nicht ansehen. Ihr ganzer Körper zitterte.
»Deine Frau bin ich nicht«, stieß sie hervor. »Das begreife ich jetzt. Was bin ich dann? Deine Peinigerin?« Er sagte etwas. Er umklammerte ihren Arm, fest. »Verabscheust du mich dafür?«, rief sie weinend.
Sie riss sich von ihm los und floh durch den großen, sternenerhellten Garten. Üppig duftend breitete er sich aus. Sie fand ihren Weg nicht und suchte verzweifelt im Westen das bleiche Geisterlicht von Oceanus. Diese östlichen Länder waren viel düsterer.
Falls Irrylath nach ihr rief, hörte sie ihn nicht. Sie wollte ihn nicht hören. Sie hielt sich die Ohren zu und rannte.
3
Die Botinnen
A eriel lag auf einem niedrigen Ruhebett in einem der äußeren Gemächer. Sie war allein. Alle Dienstboten hatte sie fortgeschickt, nur einen gebeten, ihr Fortbleiben bei der Königin zu entschuldigen.
Der Raum war dunkel und vollkommen still. Das durch die Fenster einfallende Sternenlicht zeichnete fahle Quadrate auf den Boden. Aeriel fuhr mit den Fingerspitzen über die glatten Schnitzereien am Kopfende. Das Kissen war nass. Ihre Wangen waren nass. Aeriel setzte sich auf. Sie seufzte und blinzelte, ihr war schwindlig.
»Das ist sinnlos«, murmelte sie. »Ich bin vom Weinen erschöpft. Ich sollte schlafen.« Sie schloss die Augen und lehnte sich gegen die kühle Wand. Ruhe überkam sie und etwas Merkwürdiges schien mit ihr zu geschehen.
Das Licht im Zimmer veränderte sich. Sie konnte den nächtlichen Himmel über Isternes sehen. Tief im Westen formte sich ein Ring gelber Sterne zu einer Krone oder vielmehr tanzenden Mädchen. Dreizehn gelbe Lichtpunkte glitten über das Sandmeer auf sie zu.
Stumm, wie Glühwürmchen, kamen sie näher und betraten das Gemach durch die breiten Fenster rechts und links von ihr. Die goldenen Lichtpunkte, nicht größer als eine Hand, gruppierten sich kreisförmig um Aeriel.
Dann wurde das Licht plötzlich heller und dehnte sich aus, bis es die Gestalt von dreizehn Frauen angenommen hatte. Plötzliche Wärme durchströmte Aeriel. Sie öffnete die Augen Und sah dreizehn Jungfrauen aus goldenem Licht vor sich stehen.
Vor nur drei Tagmonaten waren sie Gespenster gewesen, die entführten Bräute des Vampirs. Aeriel hatte sie gerettet, indem sie einen Faden aus Liebe für ihre Gewänder gesponnen hatte. Danach hatte sie mit den Geisterfrauen im Schloss des Engels der Nacht auf deren Befreiung gewartet und erlebt, wie ihre äußere Hülle zu Staub zerfiel und ihre befreiten Seelen in den Himmel aufstiegen.
Zu ihrer Rechten stand jene, die sie zuerst befreit hatte: Marrea. Und zu ihrer Linken stand Eoduin, die letzte Braut, die der Ikarus vor Aeriel entführt hatte.
»Eoduin«, sagte Aeriel.
Die lichte Gestalt lächelte. »Ja, Gefährtin.«
»Du bist zu mir zurückgekommen.«
»Für eine Weile«, sagte die andere. »Wir sind dem Faden gefolgt, den du für uns gesponnen hast.«
Sie berührte etwas, das Aeriel nicht
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