Gefangene des Engels - Pierce, M: Gefangene des Engels - The Darkangel Trilogy: The Darkangel (1), A Gathering of Gargoyles (2), The Pearl of the Soul of the World (3)
Denn ich muss sie bald finden, sie und die anderen lons .«
Der Hüter seufzte. »Ich weiß es nicht. Ich habe hundert Jahre verschlafen. Währenddessen habe ich nicht einmal die große Wölfin heulen hören. Der letzte Pilger, der hier vorbeikam, erzählte von einer Schlacht im Westen, an der Grenze von Zambul bezwang ein geflügeltes Monster Bernalon und trug sie fort.«
»Ein Engel der Nacht«, flüsterte Aeriel. Nicht der von Avaric, aber sein »Bruder«, einer der »Söhne« der Hexe.
»Was gibt es?«, fragte der Hüter.
Aeriel blickte auf. »Am Rande der Wüste lebt eine Hexe, die Knaben stiehlt und sie wie ihre eigenen Söhne aufwachsen lässt. Sie macht sie zu Vampiren, die die Seelen von Frauen trinken. Jetzt hat sie sechs Engel der Nacht, und der siebte in Avaric wurde den Lebenden zurückgegeben, ehe sie ihr Werk vollenden konnte. Jeder Vampir besiegte einen lon . Einen habe ich bereits gefunden, den Avarclon. Aber die anderen sechs muss ich noch innerhalb dieses Jahres finden. Eine davon ist Bernaclon.«
Der Hüter wandte sich wieder ab. »Das sind schlechte Zeiten«, murmelte er, »wenn Hexen und ihre Söhne unter uns weilen.«
Aeriel atmete tief ein. »Es gibt einen Rätselreim«, sagte sie. Die wilde Hoffnung, die sie vor ein paar Augenblicken ergriffen hatte, drohte zu schwinden. Sie stürzte sich darauf. »Als die Gottgleichen sich wieder zurückzogen, vor Jahrhunderten, weissagte Ravenna das Erscheinen der Hexe.«
Die hellbrennende Flamme zeichnete einen scharf umrissenen Schatten von Aeriel auf den Boden. Der Hüter blickte aufs Meer. »Diesen Reim sang sie den lons, während sie sie schuf. Du bist zwar kein lon, aber vielleicht kannst du mir erklären, was er bedeutet:
Doch zuerst müssen sie sich vereinen, die Feinde der Engel der Nacht,
Eine Braut, die im Tempel durch Feuer schreitet, hat teil an der Schlacht,
Weit jenseits des Sandmeers kommen Streitrösser für die Zweitgeborenen,
Und neu geschmiedete Waffen, ein geflügelter Stab –
Dann kostet die königliche Prinzessin von dem Baum – sonst wär sie verloren.
Also geschehen die Dinge, von der Stadt Esternesse weitab:
Eine Zusammenkunft von Gargoyles, ein Fest auf dem Stein,
Der Weißen Hexe Helferin wird nicht mehr sein.«
Aeriel sah den Hüter an, doch der schüttelte den Kopf.
»Ich wurde lange vor den lons erschaffen, Reisende. Ich habe dieses Rätsel noch nie gehört. Ich kenne seine Bedeutung nicht.«
Aeriel schlug die Augen nieder. Enttäuschung und Kummer erfüllte ihr Herz.
»Dann muss ich nach Orm reisen«, sagte sie ruhig, »und meine Antwort anderswo suchen.« Sie zögerte, dann fragte sie: »Kannst du mir den Weg beschreiben?«
»Folge der Küstenstraße «, sagte der Hüter, »nach Norden, bis
du nach Talis kommst. Richte es so ein, dass du vor der Nacht in der Stadt eintriffst, denn die Stadttore werden beim Untergang des Sonnensterns verbarrikadiert. Am nächsten Morgen nimmst du die Straße, die nach Westen in die Hügel führt. Dann kommst du über den Pass und nach Zambul, soviel ich weiß.
Bleib auf der Straße, denn die angrenzenden Wälder sind unsicher. Reise nicht bei Nacht, versuche vielmehr, dich irgendeiner Karawane anzuschließen. Seit Bernalon nicht mehr hier ist, treiben sich überall Diebe und Gesindel herum.«
Aeriel brachte zum Dank ein Lächeln zustande. Der Hüter geleitete die Stufen des Turms hinunter.
»Aber ehe du gehst«, sagte er, »nimm dies. Willst du? Der letzte Reisende vor dir hat es dagelassen, und ich habe keine Verwendung dafür.«
Er legte die Hand auf einen Knauf neben der Tür. Aeriel hatte das Kleidungsstück, das daran hing, vorher nicht bemerkt. Es war sehr klein, der Stoff von heller, schimmernder Farbe. Die Innenseite war dunkler.
Aeriel warf es über die Schultern, und zu ihrer Überraschung passte es ihr genau. Der Saum endete kurz über ihren Knien; die Ärmel reichten bis zur Mitte der Unterarme. Die spitze Kapuze beschattete ihr Gesicht.
»Ich danke dir«, sagte Aeriel und schlug die Kapuze zurück. »Aber ich habe nichts, um dich zu bezahlen.«
Der Hüter schüttelte den Kopf. »Das ist nicht nötig. Nimm es als Geschenk, um den Staub der Straße von dir fernzuhalten.«
Sie traten aus dem Turm ins Morgenlicht, und Aeriel bemerkte überrascht, dass das Unkraut verschwunden war. Und auf dem
ehemals felsigen Boden wuchsen blühende Pflanzen. Ein schmaler Pfad führte zur Straße. Aeriel sah noch fünf weitere Früchte am Baum hängen.
»Hüter«,
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