Gefangene des Feuers
baut gerade ein Bankenimperium auf, mit dem er, so vermute ich, Mr Vanderbilts Einfluss schlucken kann. Ich habe Mr Morgan die Situation dargelegt und um seine Unterstützung gebeten. Und ich habe Grund zu der Annahme, dass er uns seine Hilfe nicht verweigert.“
Annie seufzte, als Rafe ihr erzählte, dass sie nach New York reisen müssten. „Glaubst du, dass das Baby irgendwo im Zug geboren wird?“, fragte sie. „Oder vielleicht auf einem Raddampfer?“
Er küsste sie und strich zärtlich über ihren Bauch. Bis jetzt war er kein guter Ehemann gewesen. Sie hatte mit ihm das ganze Land durchqueren müssen, obwohl sie gerade jetzt nichts anderes als Ruhe und Frieden brauchte. „Ich liebe dich“, murmelte er.
Sie zuckte zurück, um ihn anzusehen, die dunklen Augen verblüfft geweitet. Ihr Herz schlug bis zum Hals, und sie drückte die Hand vor die Brust. „Wie bitte?“, flüsterte sie.
Rafe räusperte sich. Er hatte gar nicht vorgehabt, diese Worte zu sagen. Sie waren von selbst über seine Lippen gekommen. Ihm war nicht bewusst gewesen, wie bloßgestellt und verletzlich er sich nun fühlen würde. Wie verunsichert. Sicher, sie hatte ihn geheiratet, aber sie hatte auch keine große Wahl gehabt, da sie schwanger war. „Ich liebe dich“, sagte er noch einmal, dann hielt er den Atem an.
Sie war blass geworden, doch dann erhellte ein strahlendes Lächeln ihre Züge. „Ich ... das wusste ich ja gar nicht“, flüsterte sie. Dann warf sie sich in seine Arme und hielt ihn so fest, als wollte sie ihn nie wieder loslassen.
Der Druck in seiner Brust wurde erträglicher, und er konnte endlich wieder atmen. Vorsichtig trug er sie zum Bett und legte sie darauf ab, ehe er sich neben ihr ausstreckte. „Du könntest es ruhig auch sagen“, drängte er. „Das hast du nämlich noch nie.“
Ihr Lächeln wurde noch strahlender. „Ich liebe dich.“
Sie brauchten keine weiteren Erklärungen, nur diese drei schlichten Worte, die genau die richtigen für sie waren. Lange Zeit lagen sie da und genossen die Nähe des anderen. Er lächelte, während sein Kinn oben an ihrem Kopf ruhte. Er hätte es wissen müssen, schon beim ersten Mal. Damals, als er sie in der kalten Nacht gezwungen hatte, sich neben ihn zu legen und ihre Wärme mit ihm zu teilen, als er sie trotz seiner Verletzungen gewollt hatte. Er hätte wissen müssen, dass sie ihm eines Tages mehr bedeuten würde als alles andere auf der Welt.
Eine Woche später saßen die drei in J. P. Morgans aufwendig getäfeltem Büro in New York City, der Stadt, wo vor vier Jahren alles für Rafe angefangen hatte. Morgan klopfte auf den Brief von Jefferson Davis in seiner Hand und überlegte, wie die Neugierde Männer doch zu ungewöhnlichem Verhalten verführen konnten. Für Morgan war es von Anfang an klar gewesen, dass diese Leute einen Gefallen von ihm wollten. Normalerweise weigerte er sich, so jemanden zu empfangen, aber sein Sekretär hatte ihm mitgeteilt, dass sie einen
Brief von Jefferson Davis dabeihätten, dem früheren Präsidenten der Konföderierten. Und es war pure Neugier von ihm gewesen, die ihn dazu verleitete, sich auf ein Gespräch einzulassen. Warum sollte Mr Davis ihm schreiben? Er hatte diesen Mann noch nie persönlich getroffen und überdies die Politik der Südstaaten aufs Schärfste missbilligt. Aber Davis’ Ruf erzählte eine andere Geschichte, und die fand er sehr interessant. Denn J. P. Morgan war ein Mann, der Integrität für die wichtigste Tugend hielt.
Der Bankier hörte zu, als Marshal Atwater die Umstände darstellte. Erst danach öffnete er den Brief von Jefferson Davis. Morgan war vierunddreißig Jahre alt, genau wie Rafe, aber er hatte bereits den Grundstock für ein eigenes Bankenimperium gelegt. Als Sohn eines Bankiers hatte er sein Geschäft von der Pieke auf gelernt. Und er sah bereits auch aus wie ein richtiger Bankier: Seine Gestalt zeigte schon Zeichen einer wohlhabenden Korpulenz, während sein Blick Stärke verriet.
„Eine unglaubliche Geschichte“, sagte er schließlich, legte den Brief zur Seite und nahm die Dokumente auf, um sie anzusehen. Rafe warf er einen Blick zu, der von vorsichtigem Respekt zeugte, so wie man ein gefährliches Raubtier ansehen würde. „Sie haben es vier Jahre lang geschafft, einer ganzen Armee zu entkommen. Ich denke, dass Sie auf Ihrem Gebiet ein sehr eindrucksvoller Mann sind, Mr McCay.“
„Wir haben alle unsere ganz eigenen Schlachtfelder, Mr Morgan. Ihres ist die Chefetage."
„Mr Davis
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