Gefangene des Feuers
so schnell ankleiden können. Sie hatte nie eine Chance gehabt zu entkommen.
„Es ist mitten in der Nacht und du hast nicht einmal einen Mantel an!“ Seine Stimme klang rau vor unterdrückter Wut. „In ein paar Stunden wärst du tot gewesen!“
Sie hob den Kopf, ihre Augen dunkle Seen voller Verzweiflung. „Dämmert es denn nicht bald?“
„Nein, verdammt noch mal! Es ist erst etwa zwei Uhr nachts. Außerdem spielt es keine Rolle, ob es hell oder dunkel ist. Du wärst dort draußen auf jeden Fall erfroren. Merkst du denn nicht, wie kalt es geworden ist? Es gibt Schnee, wahrscheinlich morgen schon. Du hättest es nie aus den Bergen heraus geschafft.“
Sie stellte sich vor, dass sie stundenlang allein draußen gewesen wäre, unfähig etwas zu sehen, während ihr immer kälter wurde. Auch wenn sie nur kurz draußen gewesen war, war sie jetzt schon bis auf die Knochen durchgefroren. Vermutlich hätte sie nicht einmal den Morgen erlebt.
Als Rafe sich vor sie hinhockte, zwang sie sich, nicht vor ihm zurückzuweichen. In seinen hellgrauen Augen tobten seine Gefühle. Als er nun sprach, war seine Stimme fast tonlos. „Hattest du so große Angst, ich würde dich mit Gewalt nehmen, dass du lieber sterben wolltest?“
Ein Schauer lief ihr über den Rücken. Er hatte ihr das Leben gerettet. Sie sah ihn an, als wäre es das erste Mal, während ihre Augen jede Einzelheit seines Gesichts absuchten. Eine harte, kompromisslose Miene. Das Gesicht eines Mannes, der nichts mehr zu verlieren hatte. Ein Mann, der nichts von dem besaß, was für sie das Leben lebenswert machte. Er hatte kein Heim, keine Freunde, nichts, was gut, warm oder sicher war. Wäre sie erfroren, hätte er weniger Ärger gehabt und mehr zu essen. Und trotzdem war er ihr gefolgt. Nicht aus Angst, sie würde es zurück nach Silver Mesa schaffen und irgendjemandem - wem? - erzählen, wer er war. Er hatte gewusst , dass sie es nicht schaffen würde. Rafe hatte sie zurückgeholt, weil er nicht wollte, dass sie starb.
In diesem Augenblick der Stille spürte sie, wie das letzte bisschen ihres ohnehin brüchigen Widerstands zu Staub zerfiel.
Zögernd streckte sie eine kalte Hand aus und legte sie auf seine Wange. Seine Bartstoppeln kratzten auf ihrer empfindlichen Haut. „Nein“, flüsterte sie. „Ich hatte Angst, du würdest es nicht tun.“
Der Ausdruck in seinen Augen veränderte sich, wurde eindringlicher, als ihm die Bedeutung ihrer Worte bewusst wurde.
„Es war eine verlorene Schlacht, die ich gegen mich selbst ausgefochten habe“, fuhr sie fort. „Ich habe mich immer für eine tugendhafte Frau gehalten, mit Wertvorstellungen und Idealen. Aber wie kann ich tugendhaft sein, wenn ich so schockierende Dinge fühle?“
„Und wie solltest du eine Frau sein“, gab er zurück, „wenn du sie nicht fühlen würdest?“
Mit einem verhaltenen Lächeln sah sie ihn an. Genau darum ging es, vermutete sie. Sie hatte ihr Leben der Arbeit als Ärztin gewidmet und alles andere ausgeschlossen, auch ein Leben als Frau und Mutter. Obwohl sie ihm gegenüber etwas anderes behauptet hatte, bezweifelte sie, dass sie je heiraten würde. Denn sie würde niemals ihre Arbeit aufgeben, und kein Mann wollte eine Ärztin als Frau. Jetzt stellte sie erstaunt fest, dass ihr Körper seine eigenen Bedürfnisse hatte, sehr weibliche Bedürfnisse.
Tief atmete sie durch, um Festigkeit bemüht. Falls sie den verbotenen Schritt tat, wäre das eine Kehrtwendung in ihrem Leben, ohne dass es ein Zurück gäbe, das es ohnehin schon seit dem Augenblick nicht mehr gab, als ihr Widerstand dahingeschmolzen war. Sie stellte sich der Tatsache, dass sie bereits halb in ihn verliebt war. Vielleicht liebte sie ihn auch schon ganz und gar. Doch da sie in diesen Dingen keine Erfahrung hatte, konnte sie nicht sicher bestimmen, was sie fühlte, nur dass sie eine Frau sein wollte. Seine Frau.
„Rafe“, sagte sie mit leiser, verängstigter Stimme, „würdest du bitte mit mir schlafen?“
8. KAPITEL
Sie sah, wie seine Pupillen sich weiteten, bis das Schwarz fast die gesamte kristallklare Iris ausfüllte. Er presste den Mund zusammen und für einen Moment glaubte sie, er würde sich weigern. Dann legte er seine Hände auf ihre Schultern und zwang sie sanft auf die zerwühlten Decken. Ihr Herz hämmerte so stark gegen ihre Rippen, dass es ihr schwerfiel, Luft zu holen. Obwohl sie ihm die Erlaubnis gegeben, ihn sogar darum gebeten hatte, es zu tun, merkte sie, dass es nicht leicht war, die
Weitere Kostenlose Bücher