Gefangene des Ruhms - Spindler, E: Gefangene des Ruhms
von Becky Lynn zu nehmen. Er brauchte sie so sehr; er glaubte, ohne sie ersticken zu müssen, aber er erkannte, dass sie sich nicht von ihm anfassen lassen würde. Sie hasste ihn; sie machte ihn für Carlos Tod verantwortlich.
„Wir brauchen Ihre Aussage.“
Jack zwang sich, seinen Blick von Becky Lynn zu nehmen und den Beamten anzusehen. Er nickte, und der Polizist winkte ihn ein Stück beiseite.
„Wissen Sie irgendjemanden, den wir benachrichtigen könnten, damit er sich um sie kümmert?“ Der Beamte machte eine Kopfbewegung in Becky Lynns Richtung. „Für Sie wäre es im Moment wohl nicht ratsam, sich ihr noch einmal zu nähern.“
Als Jack nach einer Erwiderung suchte, wurde ihm klar, dass er keine Ahnung hatte, wen man anrufen könnte. Soweit ihm bekannt war hatte Becky Lynn niemanden, der ihr nahe stand – weder Angehörige noch enge Freunde. Der einzige Mensch, den sie hatte, war Carlo gewesen. Diese Erkenntnis traf ihn wie ein Blitzschlag. Erst jetzt ging ihm in erschreckender Deutlichkeit auf, was Carlo ihr bedeutet hatte.
Nachdem er seine Aussage zu Protokoll gegeben hatte, entschloss er sich, Sallie anzurufen. Obwohl zwischen den beiden Frauen kein Kontakt mehr bestand, wusste er doch, dass sich Sallie immer für Becky Lynn verantwortlich gefühlt hatte und dass sie sie mochte. Als seine Mutter dann schließlich eintraf, war er erleichtert festzustellen, dass Becky Lynn ihren Trost dankbar annahm.
Wie durch einen Schleier nahm er wahr, wie die Sanitäter Carlo abtransportierten und schließlich langsam Ruhe einkehrte. Sallie hatte Becky Lynn überredet, eine Beruhigungspille zu nehmen und sich hinzulegen. Jack überlegte, was er Becky Lynn noch abnehmen könnte. Tremayne fiel ihm ein, vielleicht erleichterte es ihr ja die Sache etwas, wenn sie den Agenturchef nicht selbst von dem traurigen Ereignis in Kenntnis setzen musste. Danach rief er die Reinigungsfirma an und bat umgehend um eine Putzkolonne. Der Whirlpool musste abgelassen und gesäubert werden, ehe Becky Lynn wieder erwachte.
Mehr konnte er im Moment nicht für sie tun.
Noch immer wie vor den Kopf geschlagen, verbschiedete er sich von Sallie, die versprach, ihn auf dem Laufenden zu halten, und fuhr davon.
Eine ganze Weile kurvte er ziel- und planlos in der Gegend herum in der Hoffnung, auf diese Weise schneller zu sich selbst zurückzufinden. Doch es gelang ihm nur höchst unzureichend. Trauer und Zorn brannten lichterloh in ihm wie ein Feuer, das ihn zu verschlingen drohte. Jack umklammerte das Steuer so fest, dass es wehtat, und knirschte, hilflos vor Wut, mit den Zähnen. Er hasste seinen Vater. Ja. Er hasste ihn. Jetzt, nachdem er ihn endlich durchschaut hatte, hasste er ihn. Er und Carlo waren Brüder, und sie hatten einander gebraucht, aber sie waren zu sehr in ihren Konkurrenzkampf verstrickt gewesen, um es zu bemerken. In den Konkurrenzkampf, den Giovanni geschürt hatte.
Er hatte einen Bruder gehabt, doch dieser Bruder war nun tot. Ein für alle Mal tot. Es war zu spät.
Bitterkeit und Schmerz wallten ihn ihm auf. Und dann wurde ihm plötzlich klar, was er zu tun hatte.
Er drückte das Gaspedal durch. Wie ein gefräßiges Ungeheuer verschlang sein Porsche die Meilen. Nachdem er schließlich bei Giovannis Studio angelangt war, suchte er sich in aller Eile einen Parkplatz. Er hatte das Gefühl, jeden Moment an seinem Hass ersticken zu müssen.
Ohne ein Wort stieß er Tank, der wie stets gewissenhaft den Eingang hütete, beiseite und stürmte, Mordgier im Herzen, in das Atelier. Durch die versammelte Mannschaft ging ein Ruck, dann herrschte tödliche Stille.
Giovanni ließ die Kamera sinken, drehte sich um und entdeckte Jack. Er erblasste.
„Du Schweinehund! Du hast ihn auf dem Gewissen!“ Jack stürzte auf seinen Vater zu und packte ihn am Jackenaufschlag. „Er ist tot, du Drecksack! Dein Sohn ist tot!“
Einen kurzen Moment starrte er Giovanni in die Augen und dachte daran, ihn zu töten, malte sich aus, wie er mit den Fäusten auf ihn einschlug, bis sich sein Vater nicht mehr rührte. Doch dann kamen ihm Becky Lynn in den Sinn und Sallie und schließlich Giovanni selbst.
Der Bastard ist es nicht wert, dass du dir die Hände an ihm schmutzig machst.
Jack ließ ihn los. Der Fotograf taumelte ein paar Schritte zurück und stieß gegen ein Stativ, das zusammen mit der Kamera, die darauf befestigt war, umkippte und krachend zu Boden stürzte. Er strauchelte und schaffte es nur mühsam, sich auf den Bei nen zu halten.
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