Gefangene des Ruhms - Spindler, E: Gefangene des Ruhms
um dich zu beschützen. Alles. Und ich habe dich auch schon beschützt.“ Sie schaute vielsagend auf ihren Vater, der so tat, als würde die Unterhaltung überhaupt nicht stattfinden. „Und du? Du lässt es zu …“ sie legte schützend die Arme um sich, „du hast es zugelassen … dass sie mich … du hast … sie haben …“
Unfähig, den schuldbewussten Blick und das schuldbeladene Schweigen ihres Bruders noch länger zu ertragen, ließ sie ihren Satz unvollendet und floh in die Küche.
Glenna Lee saß mit leerem Blick am Küchentisch, unbeweglich und schweigend, und starrte ins Nichts. Mit den Fingern nestelte sie nervös in den Falten ihres Bademantels herum. Eine Weile verfolgte Becky Lynn benommen mit ihren Blicken diese rastlosen Bewegungen.
„Mama?“ flüsterte sie schließlich und faltete dabei die Hände wie zum Gebet, nur viel, viel fester, so verzweifelt fest, dass ihre Knöchel weiß hervortraten. „Mama, bitte.“
Ihre Mutter blinzelte sich in die Realität zurück. Dann schaute sie ihre Tochter an, als sähe sie sie eben zum ersten Mal. In ihre Augen trat Erschrecken, das sich gleich darauf in helles Entsetzen wandelte. Doch nur Sekundenbruchteile später hatte sie sich wieder in der Gewalt und setzte diese kindlich-unwissende Maske auf, mit der sie sich noch jedes Mal aus der Affäre gezogen hatte. „Hallo, Baby.“
Becky Lynn schluckte. „Mama, schau mich an. Bitte.“ Sie ging zu ihrer Mutter hinüber und stellte sich direkt vor sie hin. „Ich will, dass du mich siehst, Mama.“
„Aber natürlich sehe ich dich, Baby.“ Glenna Lee legte den Kopf in den Nacken und schaute lächelnd zu Becky Lynn auf. „Musstest du denn heute so lange arbeiten?“
Becky Lynn warf einen Blick auf die Küchenuhr. Weil das Glas mit einer schmierigen Fettschicht bedeckt war, erforderte es einige Phantasie, die Zeit abzulesen. Fast elf. Fünf Stunden waren vergangen, seit sie Cut ’n Curl verlassen hatte. Fünf Stunden, die sie in der Hölle verbracht hatte.
„Nein, Mama.“ Ihr Kinn begann zu zittern, und ihre Augen füllten sich mit Tränen. „Mama, ein paar Jungs … sie … sie haben … mir wehgetan.“
Ihre Mutter schüttelte missbilligend den Kopf und schnalzte mit der Zunge. „Sie sollte dich während der Schulzeit wirklich nicht so lange dabehalten. Du musst doch morgen wieder früh raus.“
Die Küche begann vor ihren Augen zu verschwimmen. Becky Lynn rang nach Atem. „Hör auf damit, Mama. Ich … ich brauch dich. Bitte. Ich brauche dich so sehr.“
Ihre Mutter krallte ihre Finger in den Stoff ihres Bademantels und zog ihn ganz eng um sich. „Geh ins Bett, Baby. Morgen sieht die Welt wieder ganz anders aus.“
Becky Lynn taumelte einen Schritt zurück, als hätte ihr ihre Mutter eine Ohrfeige versetzt. Ihrer Kehle entrang sich ein leiser Schrei. Es hatte keinen Zweck. Ihre Mutter verschloss die Augen vor der Realität, sie war vollkommen außer Stande, mit Problemen umzugehen, so viel wurde Becky Lynn jetzt schlagartig klar. Sie gab auf, wandte sich um und ging wieder hinaus ins Wohnzimmer. Zum Letzten entschlossen, durchquerte sie es und baute sich vor dem Fernseher auf, so dass sie ihrem Vater das Bild verstellte.
„Daddy“, flüsterte sie händeringend, „du musst mir helfen, bitte.“
Er schaute sie an. Es war unübersehbar, dass der Alkohol wieder einmal seine Wirkung getan hatte. Randall Lees Augen waren blutunterlaufen und leer. Er grunzte ungehalten.
„Ein paar Jungs haben mir wehgetan, Daddy. Sie …“ Ihre Stimme kippte um, sie musste sich erst räuspern, bevor sie weitersprechen konnte. „Sie haben mich gezwungen … sie …“
Als ob er sie jetzt zum ersten Mal wahrnähme, musterte er sie von oben bis unten. „Wo kommst du jetzt so spät her, Mädchen?“
„Das versuche ich dir ja die ganze Zeit schon zu sagen. Tommy Fischer und Ricky Jones …“ Sie warf ihrem Bruder einen Blick zu. Er saß mit gesenktem Kopf und eingezogenen Schultern in seinem Sessel. „Sie … sie haben mich … vergewaltigt. Sie haben mich niedergeschlagen … und an Händen und Füßen festgehalten …“
Ihr Vater stemmte sich aus dem Sessel hoch und kam leicht torkelnd auf die Füße. „Komm mir bloß nicht mit irgendwelchen Räuberpistolen, kapiert? Das sind doch alles nur Ausreden.“
„Nein!“ schrie Becky Lynn außer sich. „Nein … sie haben mir eine Papiertüte über den Kopf gestülpt und …“
„Randy?“ Ihr Vater drehte sich leicht schwankend zu ihrem Bruder
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