Gefangene des Ruhms - Spindler, E: Gefangene des Ruhms
in ihr auf und stürzten ihr wie Sturzbäche aus den Augen. Sie schlug die Hände vors Gesicht und begann hemmungslos zu schluchzen.
Es dauerte lange, ehe sie sich wieder etwas beruhigt hatte. Zitternd vor Kälte stöpselte sie den Abfluss wieder zu und drehte erneut die Hähne auf, wobei sie fast damit rechnete, jeden Moment ihren Vater an die Tür hämmern zu hören, weil sie so viel Wasser verschwendete. Es war ihr egal. Sie sehnte sich nach der tröstlichen Wärme des Wassers, die sie auftauen und ihr vielleicht ihr Empfindungsvermögen wieder zurückbringen würde.
Du bist etwas Besonderes, Becky Lynn. Geh aus Bend weg und mach was aus dir.
Sie machte die Augen ganz fest zu. Schmerz durchflutete sie. Hier konnte sie nichts aus sich machen. Nicht in diesem Haus. Nicht in Bend.
Heute Nacht hatte ihr ihre Mutter ihre Freiheit geschenkt.
Sie musste auf sich selbst aufpassen, wenn es schon sonst niemand tat. So sehr sie ihre Mutter auch liebte, Becky Lynn wusste, dass sie ihr nicht helfen konnte. Ihre Mutter hatte resigniert.
Doch Becky Lynn würde es anders machen. Sie würde nicht kapitulieren vor den Schwierigkeiten des Lebens. Plötzlich blitzten die Bilder aus den Modemagazinen vor ihrem geistigen Auge auf. Elegant gekleidete Menschen, fröhlich und lachend. Fast konnte sie die Sonnenstrahlen schon spüren, die wärmend und kraftspendend in ihre Haut eindrangen, und die sanfte Brise, die über ihr rotes, in der Sonne leuchtendes Haar hinwegstrich.
Kalifornien. Ja. Sie würde nach Kalifornien gehen. Nach Kalifornien, wo immer die Sonne schien, wo es keinen Schmutz gab und keinen Gestank und keine widerlichen Typen, die ihr auflauerten, um sie zu demütigen und zu vergewaltigen. Sie würde ein neues Leben beginnen.
Entschlossen zog Becky Lynn den Stöpsel aus dem Abfluss und stieg aus der Badewanne. Sie trocknete sich ab, wickelte sich anschließend in ein Badelaken, ging zur Tür, öffnete sie leise und lauschte. Stille. Sie war lange in der Wanne gewesen, anscheinend waren schon alle schlafen gegangen. Auf Zehenspitzen schlich sie hinaus. Als sie am Schlafzimmer ihrer Eltern vorüberkam, hörte sie ihren Vater schnarchen. Sie schlüpfte leise in ihr Zimmer und zog sich an. Dann packte sie ein paar Sachen zum Anziehen, Schuhe, Waschzeug und ihr Schminktäschchen in ihre Reisetasche und zog den Reißverschluss zu. Nachdem sie noch einmal ins Bad zurückgeschlichen war, um Haarschampoo, Seife, ihre Zahnbürste und Zahnpasta zu holen, öffnete sie ihre Sparbüchse. Sie hatte alles gespart, was sie in den letzten Jahren bei Cut ’n Curl verdient hatte. Bis auf das, was ihr ihr Vater weggenommen hatte. Nachdem sie das Geld gezählt hatte, stopfte sie die Scheine in die Hosentasche.
Fast zweihundert Dollar. Nicht gerade viel, aber es musste reichen.
Sie schulterte ihre Reisetasche und schlüpfte aus ihrem Zimmer. An der Garderobe hing das abgetragene Sakko ihres Vaters. Ohne schlechtes Gewissen machte sie sich daran, die Taschen nach Geld zu durchsuchen. Als ihre Finger auf ein Bündel zusammengeknüllter Geld scheine stießen, zog sie es heraus. Lauter Zwanziger. Nachdem sie sie geglättet hatte, zählte sie sie. Elf Stück. Seltsam. Woher hatte er das Geld? Egal. Er würde es doch nur vertrinken. Einen Schein legte sie an seinen alten Platz zurück, zwei schob sie sich in ihre Hosentasche, und den Rest steckte sie ihrer Mutter auf ihrem Weg nach draußen in die Einkaufstasche.
Nachdem sie die Eingangstür geöffnet hatte, wandte sie sich noch einmal um, um einen letzten Blick auf den Ort zu werfen, der fast siebzehn Jahre lang ihr Zuhause gewesen war. Sie hatte es ihr Zuhause genannt, obwohl es niemals ein echtes Zuhause gewesen war. Niemand hatte sich je richtig um sie gekümmert, geschweige denn sie beschützt. Oder geliebt.
Jetzt war sie frei.
Als sie Anstalten machte, die Tür hinter sich zuzuziehen, glaubte sie ein leises Weinen zu vernehmen – das Weinen ihrer Mutter. Becky Lynn hielt mitten in der Bewegung inne. Plötzlich wurde ihr die Brust eng. „Mama“, flüsterte sie und trat unwillkürlich von der geöffneten Tür zurück und wandte sich um.
Whiskeydunst umfing sie. Sie schüttelte den Kopf, um ihre Gedanken zu ordnen. Ein vertrautes Bild stieg vor ihrem geistigen Auge auf. Blauer Himmel und Palmen, strahlender Sonnenschein und fröhliche Menschen. Becky Lynn straffte die Schultern. Es stand nicht in ihrer Macht, ihrer Mutter zu helfen, so gern sie es auch getan hätte.
Es wurde
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