Gefangene des Ruhms - Spindler, E: Gefangene des Ruhms
das Wort behalten, aufgepasst, dass er es nicht vergaß, und es immer und immer wieder in seinem Kopf herumgewälzt, um es in einen für ihn verständlichen Zusammenhang zu bringen. Es gelang ihm nicht. Eines Tages nahm er all seinen Mut zusammen und fragte seine Mutter. Sie blickte ihn erst eine Weile unglücklich an, dann klärte sie ihn auf schonende Art und Weise auf. Er hatte verständnisvoll genickt und war nie wieder auf das Thema zurückgekommen. Und sie auch nicht.
Jack stellte die Beine auf die Couch, zog seine Knie an die Brust und studierte jede Bewegung des großen Meisters. Giovanni war der Größte, der König der Könige, der unumstrittene Herrscher in der Welt der Modefotografie.
Sein Vater. Giovanni war sein Vater.
Jack holte tief Luft, entschlossen, seine Nervosität beiseite zu schieben. Noch hatte er Hoffnung. Nur Waschlappen waren nervös. Und schließlich war er kein Waschlappen. Er war der Sohn des großen Giovanni – er konnte es sich nicht leisten, schwach zu sein und nervös. Es wurde Zeit, ein Mann zu werden, ein Mann wie Giovanni. Sein Vater.
Jack hob stolz das Kinn und sah sich schon an der Seite seines Vaters gemessenen Schritts, den Kopf hoch erhoben, das Studio durchqueren, wobei Giovanni einen Arm wie zufällig um seine Schultern gelegt hatte. Dabei stellte er sich die Blicke der anderen Anwesenden vor und hörte, wie sie flüsterten Hast du das gewusst, Jack ist Giovannis Sohn …
Jack hatte sich alles genau zurechtgelegt; seine Mutter hätte ihm nie und nimmer erzählt, dass er Giovannis Sohn war, wenn es ein Geheimnis bleiben sollte. Und da sie es erzählt hatte, würde Giovanni ihn auch nicht beiseite schieben oder durch ihn hindurchsehen, als ob er nicht existierte.
Zur Begründung, weshalb sie niemals etwas erzählt hatte, hatte sie angeführt, dass Giovanni verheiratet war und sie nicht wollte, dass er Probleme mit seiner Frau bekam. Zuerst hatte Jack sie im Verdacht gehabt, dass sie vielleicht nicht bereit war, ihn, Jack, mit Giovanni zu teilen, doch von dieser Überlegung war er inzwischen wieder abgerückt. Er war sich sicher, dass es für ihr Verhalten gute Gründe gab. Doch obwohl er seine Mutter sehr liebte, wollte er auch Giovanni näher kennen lernen. Er sehnte sich nach einem Vater. Er sehnte sich nach seinem Vater.
Wenn seine Mutter Giovanni nicht sagte, dass er einen Sohn hatte, musste er es eben tun. Und zwar heute.
Jack machte sich mit einem Lächeln, das ihm selbst galt, Mut. Dabei malte er sich Giovannis Reaktion auf seine Eröffnung in den blühendstens Farben aus. Seine anfängliche Überraschung und dann seine Freude. Er würde Jack ganz fest an seine Brust drücken und allen Anwesenden freudig erregt mitteilen, dass er einen Sohn hatte.
Sie würden alles Mögliche zusammen unternehmen, und sein Vater würde ihm Sachen zeigen, die nur ein Vater seinem Sohn zeigen konnte. Männersachen. Giovanni würde ihm ermutigend oder beifällig auf die Schulter klopfen genau auf dieselbe Art und Weise, wie Jack es bei anderen Vätern schon beobachtet hatte.
Giovanni mochte vielleicht nicht gerade ein Baseballfan sein, und Fischen oder Camping gehörten wahrscheinlich auch nicht zu seinen Hobbys, aber das machte nichts. Es war Jack vollkommen egal, was sie zusammen machen würden, Hauptsache war, sie machten überhaupt etwas. Jetzt endlich hatte er einen Vater.
Ein italienischer Wortschwall riss ihn aus seinen Träumereien. Jack öffnete die Augen.
„Ich arbeite nicht mit Amateuren!“ brüllte Giovanni, jetzt auf Englisch, wobei er seinem Assistenten seine Kamera in die Hand drückte. Dann ging er einige Schritte näher an das Objekt seines Missfallens, ein junges Model, heran. Das Mädchen schaute ihn demütig an.
„Wenn du mir nicht das geben kannst, was ich brauche“, Giovannis Gesten waren ebenso raumgreifend wie sein Gang, „was soll ich dann mit dir? Da für, dass man dir alles zweimal sagen musst bist du entschieden zu teuer. Es gibt viele schöne Gesichter, bella . Wenn du das Gesicht sein willst, das mit Giovanni arbeitet, musst du schon das machen, was ich sage, capisce?“
„Entschuldigen Sie“, flüsterte das Model niedergeschmettert und befeuchtete sich die Lippen. „Ich werde mir mehr Mühe geben. Ich kann es, ich weiß ganz bestimmt, dass ich es kann.“
Giovannis Zorn verrauchte. Er legte ihr einen Finger unters Kinn und hob ihr Gesicht zu sich empor. Dann fuhr er mit dem Daumen langsam über ihre feuchte, volle Unterlippe. „So
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