Gefangene des Ruhms - Spindler, E: Gefangene des Ruhms
Stimme.
Du bist etwas Besonderes, Becky Lynn. Mach was aus dir.
Becky Lynn presste ihr Gesicht ins Kissen und hielt sich an diesen Worten fest wie an einem Rettungsanker. Die Brust wurde ihr eng, und ihre Augen füllten sich mit Tränen. Wie sehr sie ihre Mutter doch vermisste. Becky Lynn wünschte sich sehnlichst, sie könnte sie berühren, ihren Kopf an ihre Schulter legen, nur für einen ganz kurzen Moment.
Auch wenn Glenna Lee zu schwach war, um ihr eine richtige Mutter zu sein, so hatte sie doch keine andere. Und auf ihre Weise liebte ihre Mutter sie bestimmt. So gut sie es eben vermochte.
Unter Becky Lynns geschlossenen Lidern quollen Tränen hervor und tropf ten aufs Kopf kissen. Ihre Mutter war damit einverstanden gewesen, dass sie von zu Hause wegging. Ihre, Becky Lynns, Entscheidung wegzulaufen, war die einzig richtige gewesen; es war ihr gar nichts anderes übrig geblieben.
Wenn es ihr doch bloß jetzt nicht plötzlich alles so entsetzlich falsch vorkäme.
Becky Lynn hatte volle vierundzwanzig Stunden Schlaf hinter sich. Nachdem sie aufgestanden war, beschloss sie, als Erstes einkaufen zu gehen. Die Welt von heute unterschied sich in keiner Weise von der von gestern, lediglich die Gesichter, die ihr auf der Straße begegneten, waren andere. Ausgehungert machte sie sich auf die Suche nach einem Lebensmittelgeschäft, das sie schließlich einen Häuserblock weiter an der nächsten Straßenecke fand.
Sie leistete sich Milch, ein Glas Erdnussbutter und ein Brot. Selbst dieser bescheidene Einkauf ließ ihr Vermögen fast auf die Hälfte zusammenschmelzen. An der Kasse musste sie sich zusammennehmen, um sich ihren Schreck nicht anmerken zu lassen. Während der Kassierer ihre Sachen in eine Tüte packte, erkundigte sie sich nach einem Job. Der Mann schüttelte den Kopf und sagte nein, ohne ihr auch nur einen Blick zu gönnen.
Zumindest hast du gefragt, redete sie sich gut zu, um gegen das Gefühl der Entmutigung anzugehen, das sie in sich aufsteigen fühlte. Ja, sie hatte es zumindest versucht.
Wieder in ihrem Motelzimmer angelangt, machte sie sich als Erstes ein Sandwich mit Erdnussbutter, dessen erste Hälfte sie gierig hinunterschlang. Sie stopfte sich den Mund so voll, dass sie fast Maulsperre bekam, leckte sich anschließend die Finger ebenso ab wie das Messer, pickte mit den Fingerspitzen Krümel von der Bettdecke auf und verspeiste sie. Bei der zweiten Hälfte ließ sie sich nicht nur viel mehr Zeit, sondern versuchte die Mahlzeit nach allen Regeln der Kunst auszudehnen und kaute jeden Bissen so gründlich, wie sie es noch nie im Leben gemacht hatte. Nachdem sie das Sandwich aufgegessen hatte, war sie noch immer nicht satt. Sie brauchte nur an Essen zu denken, und schon lief ihr das Wasser im Mund zusammen. Doch sie blieb standhaft. Sie musste sich ihre Mahlzeiten rationieren.
Den Magen zwar noch nicht ganz gefüllt, aber doch nicht unzufrieden, saß sie im Schneidersitz auf ihrem Bett und überdachte ihre Situation. Sie hatte ein Dach über dem Kopf und etwas zu essen. Das war mehr als vor zwei Tagen. Sie dachte an Ricky und Tommy, ihren Vater und ihren Bruder. Noch vor drei Tagen war sie ihnen auf Gedeih und Verderb ausgeliefert gewesen. Nun konnten sie ihr nichts mehr antun, sie konnten ihr nichts mehr wegnehmen, was ihr gehörte, und sie konnten sie auch nicht mehr peinigen, demütigen oder schlagen. Und obwohl die Leute hier sie misstrauisch oder mitleidig beäugten, hassten sie sie doch nicht. Sie hatten nicht das Bedürfnis ihr wehzutun, nur weil sie so war, wie sie war.
Sie lehnte ihren Kopf gegen den Kopfteil des Bettes und blickte hinauf an die Zimmerdecke, von der die Farbe abblätterte. In gewisser Hinsicht passt du doch ganz gut nach Hollywood, sagte sie sich. Hier waren die Straßen übervölkert von allen möglichen Außenseitern, sie fiel überhaupt nicht auf. Das war etwas Neues für sie. Früher war sie immer so ganz anders als alle anderen gewesen.
Es gefiel ihr, nicht aufzufallen. Es war, als trüge sie eine Tarnkappe, als wäre sie unsichtbar. Es machte sie stärker.
Vor sich hinlächelnd hob sie die Hand und betastete vorsichtig ihr geschundenes Kinn. Die Schwellung war zurückgegangen, und das lebhafte Blauviolett hatte sich mittlerweile in ein blasses Gelbgrün verwandelt. Auch die anderen blauen Flecken auf ihrem Körper begannen langsam zu verblassen, und der Schmerz zwischen ihren Beinen war abgeflaut. Alles, was jetzt noch schmerzte, war die Erinnerung an die
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