Gefangene Seele
erinnerte ihn daran, dass er privilegiert lebte. Sam unterdrückte seine Wut. Wenn Margaret nicht gewesen wäre, hätte Jade diesen Lebensstil von klein auf kennengelernt und wäre jetzt nicht eine Fremde in ihrem eigenen Haus.
Luke konnte sehen, dass Sam sich Sorgen machte, aber er wusste nicht, wie er ihm helfen konnte. Er hatte Sams Tochter aufgespürt. Den Rest mussten sie unter sich ausmachen.
“Ich habe noch Jades Bilder und ihre Malsachen im Auto. Ich geh sie holen und bringe das Gepäck mit. Dann verschwinde ich. Ihr beiden müsst ja erst mal erzählen.”
Jade hörte, was Luke gesagt hatte, und drehte sich abrupt um. Sie dachte darüber nach, ob sie überhaupt wollte, dass er fortging. Sie sagte sich, dass es sicherlich nicht daran lag, dass sie ihm gegenüber Vertrauen geschöpft hatte. Es war einfach so, dass sie ihn immer noch besser kannte als Sam Cochrane.
Sie sah Sam nervös an, dann schaute sie kurz zu Raphael herüber, der sich auf einen großen Lehnstuhl unter jenem Bild gesetzt hatte, das ihre ganze Welt verändert hatte.
Sam betrachtete ihr Gesicht auf der Suche nach einem Hinweis darauf, was sie dachte. Als sie das Porträt von Ivy ansah, zog sie die Stirn in Falten. Sam beschloss, den ersten Schritt zu wagen.
“Danke dafür.”
Jade sah ihn an. Sie war sich unsicher, wovon er sprach.
“Danke für was?”
“Dafür, dass du mir ein Stückchen von ihr zurückgegeben hast.”
Jade seufzte. Also hatte Sam Ivy wirklich geliebt. Sie begann zu verstehen, was der Verlust für ihn bedeutet hatte.
“Du hast sie wirklich geliebt, nicht?”
Sam seufzte. “Mehr als mein Leben.”
“Warum hat sie dich dann verlassen?”
Er lächelte sie traurig an, als sich ihre Blicke trafen. “Ich hatte gehofft, dass du mir vielleicht etwas darüber sagen könntest.”
Jade kniff die Augen zusammen. “Ich kann mich kaum an sie erinnern. Alles, woran ich mich erinnere, ist, dass sie starb und mich allein in dieser Hölle zurückließ.”
Sam war erstaunt, wie wütend Jade auf einmal war, aber er zeigte es nicht.
“Es tut mir leid, dass ich dich nicht finden konnte”, sagte er leise. “Gott allein weiß, wo ich euch überall gesucht habe. Ich habe so intensiv und so lange gesucht, aber ich habe keinen einzigen Hinweis darauf gefunden, wo deine Mutter und du steckt.”
Jade zuckte mit den Schultern und drehte sich zu dem Mann um, der sich ihr Vater nannte. Aber damit das stimmte, musste er sie so akzeptieren, wie sie jetzt war, nicht wie sie früher gewesen war.
“Du konntest dein kleines Mädchen nicht finden, weil sie auch gestorben ist.”
Sam spürte, wie der Boden unter seinen Füßen schwankte. “Was willst du damit sagen? Du bist gar nicht Jade?”
“Doch schon. Ich bin Ivys Kind. An soviel kann ich mich noch erinnern. Aber das kleine Mädchen, das ich einmal gewesen bin, das gibt es schon lange nicht mehr. Vielleicht willst du gar nicht die Person kennenlernen, die ich jetzt bin … das, was von dem kleinen Mädchen noch übrig geblieben ist.”
Sam zuckte, dann streckte er die Schultern nach hinten und starrte Jade ins Gesicht.
“Vielleicht müssen wir eines zunächst klären: Es ist mir vollkommen gleichgültig, was du in deiner Vergangenheit gemacht hast. Was auch immer du getan hast, du hast es getan, um zu überleben, und dafür werde ich dir immer dankbar sein. Ob es dir lieb ist oder nicht … ob du es dir eingestehen willst oder nicht … du bist genauso ein Teil von mir, wie du ein Teil von Margaret bist. Und ich will noch das kleinste Stückchen, das von dir übrig geblieben ist, Mädchen. Hast du mich verstanden?”
Jade erschauderte. “Ich habe es gehört.”
“Gut”, murmelte Sam. “Da wir nun die Vergangenheit soweit geklärt hätten, ist es zu viel verlangt, wenn ich dich bitte, dich in den Arm nehmen zu dürfen? Damit du mich recht verstehst, nur für einen kurzen Augenblick. Nur, damit ich mir selbst beweisen kann, dass ich nicht träume?”
Luke kehrte in die Bibliothek zurück, als Sam diese Bitte aussprach. Er blieb augenblicklich stehen und hielt den Atem an, um zu sehen, wie Jade auf Sam reagieren würde. Er beobachtete, wie sie Raphael ansah und sich dann wieder Sam zuwandte, ohne ein Wort zu sagen. Langsam drückte sie die Schultern nach hinten, genauso wie es Sam einige Minuten zuvor getan hatte.
“Ich glaube nicht, dass das zu viel verlangt ist”, antwortete sie. Dann, kurz bevor sie Sam in den Arm nehmen wollte, fügte sie mit einer ruhigen
Weitere Kostenlose Bücher