Gefangene Seele
zum ersten Mal, seitdem sie dieses Haus betreten hatte, musste sie sich eingestehen, dass sie auch froh war.
“Ja, Sam … ich freue mich auch.”
Sam winkte ihr zu, bevor er die Tür schloss. Sobald er draußen im Flur war, setzte sich Jade auf die Bettkante zu Raphael. Sie legte ihm die Hand auf die Stirn. Seine Haut war kalt – fast klamm. In seiner Schläfe sah sie einen Muskel zucken, als kämpfe er gegen einen Schmerz an.
“Rafie?”
Er unterdrückte ein Seufzen. “Ja?”
“Du bist krank, oder?”
Er bemerkte die Furcht in ihrer Stimme, sie klang wie bei einem kleinen Kind. Aber er wollte, dass sie stark war.
“Ja, Baby. Ich bin krank.”
Sie legte sich hinter ihn, kuschelte sich gegen seinen Rücken und legte ihren Arm um seine Taille.
“Warum hast du mir das nicht gesagt?”
Er nahm ihre Hand und legte sie auf seine linke Brust. Er wünschte, sie könnte seine Liebe spüren, denn er war nicht in der Lage, ihr zu zeigen, was er wirklich fühlte.
“Es gab keinen Grund.”
Sie war einen Augenblick lang still, dann atmete sie tief und zitternd ein. Sie wollte nicht daran denken, woran er erkrankt war. Weder sie noch Raphael hatten jemals Drogen genommen, aber es war unmöglich zu vergessen, was Solomon ihnen angetan hatte. Und es gelang ihr nicht, die Tatsache zu verleugnen, dass einige sexuell übertragbare Krankheiten nicht nur unheilbar, sondern auch tödlich waren.
Sie schob ihre Hand unter sein Hemd und spürte die Rippenbögen. Die Knochen stachen erschütternd unter der Haut hervor, wo sich früher noch festes Gewebe befunden hatte. Jade unterdrückte den Wunsch zu schreien.
Nicht Raphael! Bitte, nicht mein Raphael.
Dann versuchte sie, sich selbst zu beruhigen. Nach all den Jahren, in denen er sich um sie gekümmert hatte, war es das Mindeste, was sie für ihn tun konnte. Sie strich ihm mit der Hand vorsichtig über den Rücken.
“Es ist in Ordnung, Rafie. Der Doktor kommt nachher, und dann macht er dich wieder gesund.”
Sie wollte, dass Raphael ihr zustimmte. Sie wartete auf eine Antwort. Sie wartete immer noch, dann fing sie zu weinen an.
Raphael spürte, wie ihr Körper zuckte. Er selbst rang mit den Tränen. In diesem Moment hätte er gern Gott verflucht, ihm dieses Schicksal aufzubürden, aber ihm fehlte die Kraft dazu. Es hätte sowieso nichts geändert. Sein Schicksal war besiegelt von dem Tag an, als er die Welt erblickte.
“Dir wird nichts geschehen”, sagte er leise.
“Ich mache mir keine Sorgen um mich. Ich sorge mich um dich.”
Raphael schloss wieder die Augen und kämpfte gegen eine neue aufsteigende Welle von Übelkeit an.
“Schau, wo Velma ist. … iss etwas. Wenn du wiederkommst, kannst du mir vielleicht etwas Kaltes zu trinken mitbringen.”
Der Gedanke, dass sie ihm etwas Gutes tun konnte, ließ Jade aufspringen. “Ich beeile mich”, sagte sie. “Vielleicht gibt es Suppe. Rafie … möchtest du vielleicht ein wenig Suppe?”
“Ja, gern”, antwortete er. “Das wäre prima.”
Er spürte ihre Hand auf seiner Schulter, dann die Bewegung der Matratze, als er sich drehte. Er hielt den Atem an, bis Jade das Zimmer verlassen hatte. Dann rollte er sich vom Bett und stolperte in das Badezimmer.
Big Frank konnte an nichts anderes denken, als an die Telefonnummer, die sich in seiner Tasche befand. Er hatte das Gefühl, als brenne sie sich durch den Stoff des Sakkos, als er in die Tiefgarage seines Wohnblocks einbog. Er schob seine beachtliche Leibesfülle hinter dem Steuer hervor und bewegte sich dann auf den Aufzug zu. Als er bei der Aufsicht vorbeikam, nickte er ihr zu und winkte. Es schadete nie, einem potenziellen Wähler gegenüber freundlich zu sein.
Als er den Fahrstuhl betrat, stand schon das Pärchen vom Stockwerk über ihm darin. Er sah sich gezwungen, freundlichen Small Talk zu halten, obwohl ihm eher danach war, jemanden zusammenzuschlagen.
Als er in seinem Stockwerk ausstieg, verließ er den Aufzug mit einem entspannten “Ihnen noch einen schönen Abend” und beeilte sich in sein Apartment zu kommen, wo er hinter sich die Tür abschloss. Er warf seine Aktentasche auf einen Stuhl und zog die Telefonnummer aus der Tasche, dann ging er ins Schlafzimmer. Obwohl einige Telefonapparate in der Wohnung verteilt waren, erschien ihm die Privatsphäre des Schlafzimmers angemessen.
Er zog sein Sakko aus und lockerte die Krawatte, dann ließ er sich auf die Bettkante fallen und nahm das Telefon zur Hand. Er sah auf die Uhr. Es war hier in Tennessee
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