Gefangene Seele
heraus und würgte sie mit einem großen Schluck Wasser hinunter. Ihm wäre Whiskey lieber gewesen, ohne Eis oder Soda, aber er wusste aus Erfahrung, dass Whiskey und Codein in Kombination keine gute Idee waren. Im letzten Jahr war eine seiner besten Pornodarstellerin einer solchen Mischung zum Opfer gefallen, und er hatte keine Ambitionen, ihr in den ewigen Schlaf zu folgen.
Abgesehen davon lagen seine Nerven blank, und das würde sich wohl auch nicht ändern, bis er die USA verlassen hatte. Während er darauf wartete, dass die Schmerzmittel ihre Wirkung taten, konnte er nichts anderes tun, als das Unglück zu verdammen, das Jade Cochrane wieder auftauchen ließ.
Es war drei Tage her, dass Big Frank Lawson Johnny Newton angerufen und ihn nach St. Louis beordert hatte. Drei lange Tage ohne Nachricht. Jeden Tag kontrollierte Frank die Zeitungen und schaute fleißig die überregionalen Nachrichten im Fernsehen, immer darauf hoffend, dass die Rückkehr von Sam Cochranes Tochter nicht mehr erwähnt wurde. Zu seiner Verzweiflung war genau das Gegenteil der Fall. Es gab einen Report über eine schöne dunkelhaarige Frau, die im örtlichen Krankenhaus aus- und einging. Spekulationen, aus welchem Grund sie dorthin ging, wurden immer absurder, obwohl man darin übereinstimmte, dass der Mann, in dessen Gesellschaft man sie gefunden hatte, sehr schwer krank sein müsse. Obwohl die Nachrichten nicht seinen Namen nannten, war sich Frank sicher, dass es Raphael sein musste. Beide wünschte er zur Hölle.
Frank war frustriert, dass nichts so funktionierte, wie er es sich vorgestellt hatte, und griff zu seinem Mobiltelefon. Er hatte den Mann eingestellt, damit er seinen Auftrag erfüllte, er würde es nicht zulassen, dass er Dummheiten machte. Soweit es ihn betraf, hätte Johnny Newton schon längst anrufen und ihn über den Stand der Dinge informieren sollen, aber da er das bisher nicht getan hatte, musste Big Frank ihm eben hinterhertelefonieren.
Da Raphaels Zustand stabil war, hatte sich Jade auf Sams Drängen hin bereit erklärt, an diesem Morgen mit ihm nach Hause zu kommen. Als sie aus dem Krankenhaus herauskamen, war sie von der warmen Luft und dem blauen Himmel überrascht. Sie war so mit Raphael beschäftigt, dass sie fast vergessen hatte, wie es war, morgens einfach aufzustehen und hinauszugehen. Und nur als kleine Abwechslung musste sie einmal so tun, als wäre alles in Ordnung.
Auf dem Weg zum Parkplatz nahm Sam sie vorsichtig am Arm. Als er das tat, sah sie ihn kurz an und lächelte. Mit jedem Tag, der verging, fühlte sie sich in seiner Gegenwart wohler. Seitdem sie wieder in St. Louis war, hatte sie einige Male etwas erlebt, was man wohl ein Déjà-vu-Erlebnis nennen konnte. Einmal passierte es, als sie in die Küche ging. Sie nahm einen ganz leichten Geruch von Zimt wahr. Auf dem Küchentresen stand eine blaue Kaffeetasse in einem schmalen Streifen Sonnenschein, der durch die Gardinen hereinfiel.
Sie war irritiert von dem Gefühl, das diese Erinnerung mit sich gebracht und ausgelöst hatte. Sie erinnerte sich bildhaft daran, wie ihre Mutter ihrem Vater lachend ein sehr großes Stück Zimtschnecke in den Mund gestopft hatte. Daran, dass eine blaue Tasse auf dem Küchentresen so stand, dass sie nicht heranreichen konnte.
Ein anderes Mal, als sie die Treppen hinaufstieg, hatte sie das Gefühl, dass ihr Vater direkt hinter ihr stünde und ein kleines rosafarbenes Deckchen in den Händen hielte. Er hatte seine Hand auf ihre Schulter gelegt. Jade hatte es ihm nicht erzählt, aber sie hatte sich daran erinnert. Vielleicht sollte sie ihm von diesen Erinnerungen berichten. Falls es wirklich Erinnerungen waren. Wenn sie echt waren, dann stimmte es, dass er sie liebte – dass er sie und Raphael liebte.
Jetzt, da sie neben ihm im Wagen saß, während er sie beide durch den Verkehr chauffierte, dachte sie noch einmal darüber nach und sah ihn an. Er war ein gut aussehender Mann. Sein Haar war noch voll und dunkelgrau. Ganz gleich, was auch passierte, er schien auf jedes Ereignis mit Klarheit und Zielgerichtetheit zu reagieren. Darüber hinaus gab er Jade das Gefühl, in Sicherheit zu sein, was keinen Sinn ergab. Logisch betrachtet hatten sie sich ja erst wenige Tage zuvor kennengelernt. Aufgrund ihres Hintergrundes sollten eigentlich alle emotionalen Warnsirenen losgehen, aber das Gegenteil war der Fall.
“Sam, darf ich dich etwas fragen?”, unterbrach sie die Stille.
Sam war überrascht, dass Jade eine Unterhaltung
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