Gefangene Seele
Wagen waren.
Sie hielten beide gleichzeitig den Atem an und sahen ihn nervös an, während sie ihre Handtaschen umklammerten und schnellen Schrittes weitergingen.
“Buh!”, machte Johnny und winkte mit erhobenen Händen, als wolle er sie verhexen.
Sie fingen an zu schreien und liefen los.
Johnny lachte laut auf und ging dann quer über den Parkplatz zu seinem Auto. Bevor die beiden Mädchen an ihrem Wagen angelangt waren, war er schon wieder auf der Straße, die in die Stadt führte. Sein Plan basierte darauf, dass er so schnell wie möglich in Raphaels Krankenzimmer hinein- und auch wieder hinauskam, ohne vielen Menschen zu begegnen, und jetzt hatte er sich die dafür nötige Zeit verschafft.
Jade suchte immer wieder nach einer Uhr. Je länger sie Raphael in seinem Krankenzimmer allein ließ, desto nervöser wurde sie.
“Wie spät ist es?”, fragte sie, während sie mit den Einkäufen durch das Einkaufszentrum eilte.
Luke sah auf seine Armbanduhr. “Fast zehn.”
“Oh Gott … schon so spät? Ich war seit drei, fast vier Stunden weg. Was wenn …”
“Raphael geht es gut”, beruhigte Luke sie.
“Woher willst du das wissen?”, fuhr sie ihn an.
“Denn falls es ihm nicht gut ginge, hätten die Leute aus dem Krankenhaus Sam angerufen. Und Sam weiß, dass wir zusammen sind, das heißt, er hätte mich auf meinem Mobiltelefon angerufen. Da Sam uns also nicht angerufen hat, können wir davon ausgehen, dass es Raphael gut geht. Daher weiß ich das.”
“Oh.”
Das ergab Sinn. Außerdem hatte Jade jetzt das Gefühl, sich ein wenig entspannen zu können.
“Entschuldigung”, sagte sie. “Aber jede Minute, die ich nicht mit Raphael zusammen bin, kann ich nie wieder zurückbekommen.”
Ihre Stimme kippte und sie schaute weg. Sie sah ein kleines Mädchen vor einem Laden stehen. Es stand mit dem Rücken zum Schaufenster, und Jade sah an seinem Gesicht, dass es Angst hatte.
Bevor sie etwas sagen konnte, hatte Luke das Mädchen auch schon entdeckt.
“Jade, sieh mal, ich glaube die Kleine hat ihre Eltern verloren. Kannst du irgendwelche Erwachsenen sehen, zu denen sie gehören könnte?”
Jade sah sich um, fand aber niemanden, zu dem das Kind gehören könnte.
“Nein, ich sehe niemanden, du?”, fragte sie.
“Nein”, sagte er, und ohne zu zögern ging er zu dem Mädchen hin. Sobald er vor ihr stand, ging er in die Hocke, damit er auf derselben Höhe wie sie war. “Süße … geht es dir gut?”
Das Kind konnte nicht älter als vier Jahre alt sein. Als sie Luke ansah, verbarg sie das Gesicht in ihren kleinen Händen.
“Ich heiße Luke”, sagte er und bedeutete Jade, sie solle herkommen. “Das ist meine Freundin Jade. Hast du dich verlaufen?”
Im nächsten Moment herrschte Stille bis auf die gedämpften Schluchzer, die durch ihre Hände drangen. Dann nahm sie langsam die Hände vom Gesicht und betrachtete Lukes Gesicht. Irgendetwas in seinem Gesichtsausdruck brachte sie dazu zu antworten.
“Nein, meine Mami hat sich verlaufen”, sagte sie.
“Ach so … wie heißt du denn?”
“Melissa Joan Carter, aber mein Daddy nennt mich kleine Prinzessin.”
Luke nahm ein Taschentuch aus seiner Manteltasche und wischte ihr vorsichtig die Tränen aus dem Gesicht.
“So, Melissa Joan Carter, was hältst du davon, wenn wir einen netten Polizisten suchen, damit er uns hilft, deine Mommy wiederzufinden?”
“Ja, bitte”, sagte sie und zog die Nase hoch.
Zusammen gingen sie zu einer Bank in der Nähe und setzten sich hin. “Weißt du, wie deine Mutter heißt?”, fragte Jade.
“Mommy.”
Jade zog die Stirn in Falten und überlegte sich, wie sie die Frage noch anders stellen könnte. “Was sagt dein Vater zu deiner Mutter?”
“Sugar … aber Oma Grammy nennt sie Faith.”
“Gut gemacht”, lobte Luke Jade, dann sah er das kleine Mädchen an. “Wir finden deine Mommy, okay? Aber erst einmal müssen wir einem Polizisten sagen, dass du sie verloren hast.”
“Okay.” Und bevor sich Luke versah, war das Mädchen auf seinen Schoß gekrabbelt.
Ohne nachzudenken, wischte er ihr noch eine Träne weg und küsste sie auf die Wange.
“Hör auf zu weinen, Kleine. Es wird schon alles gut werden.”
Dann wandte Luke sich an Jade. “Süße, gehst du in den Laden und bittest den Verkäufer, einen Sicherheitsbeamten zu rufen, ja? Ich warte hier mit Melissa, nur für den Fall, dass ihre Mutter wieder auftaucht.”
Luke sah ihr nach, als sie in das Geschäft ging und mit einem Verkäufer sprach.
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