Gefangene Seele
Stufen auf einmal nahm.
Er fand Sam schließlich in der Bibliothek, wo er gerade das Bild von Ivy von der Wand nahm.
“Was machst du da?”, fragte Luke.
“Sie hat es nicht verdient, dass man sich an sie erinnert”, stellte Sam fest. “Ich will nicht länger ihr Gesicht ansehen und dabei wissen, dass es ihre Entscheidung war, unsere Tochter diesen schrecklichen Dingen auszusetzen. Wenn es ihr so verdammt schwergefallen ist, in diesem Haus zu leben … wenn sie das Gefühl hatte, dass ihr Leben dadurch bereichert würde, mit einem Haufen Narren zusammenzuleben, die mit jeder nur möglichen Droge experimentierten, die sie bekommen konnten, dann gut. Aber sie hätte Frau genug … nein, sie hätte – bei Gott! – Mutter genug sein sollen, ihr Kind nicht dieser Situation auszusetzen.”
Seine Stimme kippte. Er senkte den Kopf. Seine Schultern fingen an zu zittern.
“Oh Gott, Luke, oh Gott. Wenn ich sie finden könnte, würde ich jeden einzelnen Mann, der sie angerührt hat, mit meinen eigenen Händen umbringen.”
“Ich weiß Sam, mir geht es genauso. Aber wir können beide ihre Vergangenheit nicht ändern. Was geschehen ist, ist geschehen. Wir können nur dafür sorgen, dass sie eine Zukunft hat.”
Sam wischte sich mit der Hand über das Gesicht und versuchte, sich zusammenzureißen.
“Ja, natürlich, du hast ja recht. Mir ist nur völlig schlecht. Sie war doch kaum älter als ein Baby. Wie kann ein erwachsener Mann so etwas tun?”
“Ich weiß es auch nicht”, pflichtete Luke ihm bei. “Aber Gott möge den Schuldigen beistehen, denn ich werde es nicht tun. Sollte ich jemals einem dieser Männer, die Hand an sie angelegt haben, von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen, dann werde ich dafür sorgen, dass es ihm leidtut, dass er jemals geboren wurde.”
Es klingelte an der Haustür. Luke hoffte, es sei die Psychiaterin, die Sam angerufen hatte. Wenn sie es war, würde ihnen Velma Bescheid geben. Aber Luke würde auf keinen Fall Jade alleine lassen.
“Ich geh schon”, sagte Sam. “Und du gehst hoch zu Jade. Ich möchte nicht, dass sie mich in diesem Zustand sieht. Sie wird denken, dass ich ihr böse bin, und das trifft nun gar nicht zu.”
“Mach ich”, sagte Luke und beeilte sich, wieder in den ersten Stock zu kommen.
Die Wunden auf Johnny Newtons Handrücken hatten endlich aufgehört zu bluten, aber sie taten immer noch weh. Wenn er zurück in Mabels Haus wäre, würde er sich die Hände verbinden. Mabel hatte wie eine Frau gewirkt, die wahrscheinlich eine wohlsortierte Hausapotheke hatte.
Johnny fuhr durch die Straßen von St. Louis. Er ließ das Geschehene Revue passieren. Es war nicht so gut gelaufen, wie er erwartet hatte, allerdings war die Krankenschwester ein Bonus, mit dem er nicht gerechnet hatte. Er hatte nicht gewusst, dass sie dort sein würde, und die Befriedigung, die er spürte, wenn er jemandem das Leben nahm, war besser als gut. Er hätte Ähnliches erwartet, als er Raphael tötete, aber es war nicht eingetreten. Wer hätte gedacht, dass jemand, der so krank war, noch so störrisch sein konnte? Nicht nur hatte der Typ sich gewehrt, er hatte auch noch diese Riesensauerei veranstaltet.
Johnny hatte nun wahrlich nichts gegen Blutvergießen, allerdings nicht sein eigenes. Nun ja, es war vorbei und zumindest hatte er die Gewissheit, dass sein Opfer wusste, was mit ihm geschah. Nichtsdestotrotz war er noch irritiert darüber, dass Raphael die ganze Zeit über gelächelt hatte, selbst während er alles mit Blut besudelte. So wie Johnny die Sache sah, hatte er ihm wahrscheinlich noch einen Gefallen getan. Immerhin hatte er ihn gleichsam davor bewahrt, elend an dem Krebs und den Schmerzen einzugehen.
Wenige Minuten später bog er in die Auffahrt von Mabel Tylers Haus ein und stellte das Auto in der Garage ab, wie er es schon so häufig zuvor getan hatte. Er eilte zur rückwärtigen Tür, als hätte er hier schon sein ganzes Leben verbracht. Gerade als er ins Haus ging, hörte er jemanden hinter sich rufen.
“Hey, Mister!”
Johnny hielt inne.
“Mister! Hey, Mister!”
Langsam drehte er sich um, eine Hand auf der Pistole unter seinem Jackett. Als er einen jungen Teenager mit barem Oberkörper neben einem Rasenmäher stehen sah, wurde ihm bewusst, dass er schon zuvor frisch gemähtes Gras gerochen hatte. Er entspannte sich.
“Entschuldigung? Redest du mit mir?”, fragte Johnny.
Der Junge nickte. “Ich bin Kevin. Ich bin gerade fertig mit dem Rasenmähen, aber Mrs.
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