Gefangener der Sinne - Singh, N: Gefangener der Sinne
Schock ließ sie anscheinend verstummen. Ungefähr sechs Minuten lang. „Gestaltwandlerraubtiere sind sehr besitzergreifend.“
Er sah weiter angestrengt auf die Straße.
„Auf jeden Fall ihren Frauen gegenüber“, sagte sie nach einer weiteren Pause.
Noch fünfzehn Minuten, dann würde er ihr schon zeigen, wie besitzergreifend er war.
„Ich nehme an, dass ich genau genommen zu euren Feinden zähle, deshalb erzielt der besitzergreifende Teil deines Wesens bei mir wohl auch keine Wirkung.“
Wo zum Teufel war die Ausfahrt? Dort. Er bog schlitternd auf eine Schotterstraße ein und fuhr in eine einsame Gegend in den weitläufigen Yosemite-Wäldern. Der größte Teil war Nationalpark, aber unter Einhaltung bestimmter gesetzlicher Vorschriften war es erlaubt, hier zu wohnen.
„Dorian?“
Noch zehn Minuten, beruhigte er sich.
„Es stimmt doch, oder? Für dich bin ich eine Feindin …“
„Shaya“, stieß er mit zusammengebissenen Zähnen hervor, „du redest dummes Zeug.“
Das verschlug ihr erneut für ein paar Minuten die Sprache. „Reine Nervosität. Dabei müsste ich eigentlich in der Lage sein, dieselben Methoden anzuwenden wie bei den Gesprächen mit Ming LeBon.“
Nach hundert Metern wurde die Schotterstraße zu einem Sandweg. Dorian schaltete auf Hooverantrieb und fuhr unter den Schatten der majestätischen Wächter des Waldes – der riesigen Mammutbäume – weiter.
„Aber keine scheint zu funktionieren.“
Er schaltete in einen niedrigeren Gang und fuhr über einen Stein. Selbst mit Hooverantrieb konnte das Fahrzeug Schäden verursachen, aber er kannte den Wald gut genug, um Stellen zu vermeiden, die sich nicht schnell regenerieren konnten. Im Augenblick allerdings sorgte er sich mehr um seinen Schwanz. Wenn er den Reißverschluss nicht bald öffnete, würde das Metall ihn mittendurch schneiden.
„Ich kann einfach nicht aufhören zu reden“, sagte sie, offensichtlich erschüttert. „Warum eigentlich? Mein Bauch ist voller Schmetterlinge, mein Herz rast, und meine Hände schwitzen.“ Sie zögerte und seufzte dann spürbar erleichtert. „Es muss Furcht sein. Du hast einen ziemlich angsteinflößenden Gesichtsausdruck.“
Das war genug. Er hielt vor einer Behausung an, die so im Dickicht versteckt lag, dass selbst Katzen ihre Augen sehr anstrengen mussten. Was würde Ashaya wohl davon halten? Aber zunächst mussten sie etwas anderes klären. Er sah sie an. „Du darfst keine Angst vor mir haben. Verstanden?“
Sie blinzelte. „Gerade jetzt bist du …“
„Sag, dass du mich verstanden hast.“ Er beugte sich vor, seine Augen waren nur noch Schlitze.
„Aber …“
„Kein Aber mehr. Es ist eine deiner leichtesten Übungen, mich auf hundertachtzig zu bringen, aber ich schieße mir eher eine Kugel in den Kopf, als mich an dir zu vergreifen. Ist das klar?“
Sie lehnte mit dem Rücken an der Beifahrertür, seine Handflächen pressten sich rechts und links neben ihr an das Fenster. Aber ihr Gesicht hatte immer noch einen rebellischen Ausdruck. „Nein, das ist nicht klar. Nicht, solange du so aggressiv bist.“
„Mach nur weiter so, Baby, reiz mich nur noch ein bisschen mehr.“ Er lächelte.
Ashaya hatte kein gutes Gefühl dabei – aber diese Art von unguten Gefühlen ließ sie innerlich dahinschmelzen. „Dorian, vielleicht sollten wir hineingehen … ich nehme an, ganz in der Nähe ist ein Haus.“
Er lächelte wieder. „Sicher doch.“
Sie traute seiner Freundlichkeit nicht, wartete, bis er sich zurückgezogen hatte, ehe sie die Tür öffnete und ausstieg. Er nahm ihre Tasche vom Rücksitz und stieg dann ebenfalls aus. „Hier entlang.“ Er wies mit einem Kopfnicken auf das vor ihnen liegende dichte, grüne Laubwerk.
Ashaya machte große Augen, als er einen Vorhang von Weinblättern mit kleinen weißen Blüten beiseite schob, die Hand auf einen Hightech-Scanner legte und damit die Tür öffnete. Bis auf einen Flur, der wahrscheinlich zum Bad führte, bestand das Haus nur aus einem einzigen großen Raum, auf den das dunkle Grün des Waldes Schatten warf.
„Licht“, sagte Dorian kurz darauf und geschickt angebrachte Lampen tauchten alles in künstlichen Sonnenschein.
„Es ist aus Glas“, hauchte sie und bestaunte die Art, wie er den Wald hier hereingebracht hatte. Blätter und Blumen schienen so nah, dass sie versucht war, die Hand danach auszustrecken und sie zu berühren. Die grüne Welt da draußen bestand aus runden zitternden Schatten, im Haus herrschten klare
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