Gefangener der Sinne - Singh, N: Gefangener der Sinne
Arm hielt. „Ich dachte, Sascha sei hier.“
„Keine Ahnung, was mit ihm los ist.“ Tammy fuhr sich mit der Hand durch die Haare. „Sascha war auch hier – ist eben erst raus, weil sie sich um etwas anderes kümmern musste. Ich wollte sie gerade zurückholen.“
„Ich bin zum Frühstück hergekommen“, nahm Kit den Faden auf. „Tammy bat mich, den kleinen Kerl zu wecken. Er war in diesem Zustand – am Leben, aber wie in einem Koma.“
„Keenan“, sagte Ashaya wieder streng, „wenn du nicht sofort damit aufhörst, wirst du sterben.“
Ihre Worte schlugen wie Granaten in das Schweigen der anderen.
„Wovon redet sie?“, fragte Kit flüsternd.
Dorian hatte darauf keine Antwort, aber der herzlose Ton von Ashaya war sicher nichts anderes als schlichte Angst. Was immer hier vor sich ging, war äußerst ernst. Er legte die Hand auf Keenans weiche Haare. „Wach auf, Keenan!“, befahl er in einem Ton, mit dem er normalerweise Jugendliche ansprach, die sich schlecht benahmen.
Ashayas Kopf fuhr hoch. In ihren unheimlichen Mitternachtsaugen stand eine so tiefe Furcht, dass er sich fragte, warum er das nicht schon vorher begriffen hatte. Im nächsten Augenblick sah sie schon wieder nach unten. „Keenan“, sagte sie wieder, aber diesmal war es mehr ein Flüstern … eine Begrüßung.
Der Junge schlug die Augen auf. „Du bist da.“ Seine Stimme klang wie die eines alten Mannes.
Dorian sah, wie Ashaya ihn fester an sich drückte. „Ich habe dir doch gesagt, du sollst das niemals tun. Niemals, Keenan. Du hattest es mir versprochen.“ Wieder nahm er den kaum verhüllten Schrecken wahr. Es war die Stimme einer Mutter, die am Rand der Verzweiflung gestanden hatte und immer noch innerlich bebte.
„Ich wollte, dass du kommst“, antwortete Keenan und sah zu seiner Mutter hoch, fasste sie aber nicht an.
Ashaya sagte nichts, aber allein, wie sie den Jungen ansah … so etwas hatte Dorian nicht erwartet. „Geh“, sagte er zu Kit. Es war ein sehr intimer Moment, er musste dafür sorgen, dass Ashaya ungestört war, sie selbst war zu erschüttert, um sich darum zu kümmern.
Kit ging, ohne noch etwas zu sagen. Tamsyn warf Dorian einen besorgten Blick zu, folgte dann aber dem Jugendlichen. Dorian schloss die Tür hinter beiden und stellte sich wieder neben das Bett.
Der Junge sah ihn kurz an und schaute dann wieder zur Seite.
Dorian wusste kaum etwas über Medialenkinder, aber er hatte denselben Gesichtsausdruck schon bei unzähligen Gestaltwandlerkindern gesehen. Erleichterung machte sich in ihm breit – mit Keenan war alles in Ordnung. „Er hat gegen die Regeln verstoßen, nicht wahr?“ Dorian kreuzte die Arme vor der Brust und versuchte, ernst auszusehen, aber eigentlich wollte er nur dieses verfluchte Junge in den Arm nehmen, um sich zu vergewissern, dass ihm nichts passiert war.
Ashaya sah auf. „Ja. Es war sehr gefährlich, was er getan hat.“ Sie klang weniger panisch, drückte aber Keenan immer noch fest an sich. „Er hatte mir versprochen, es nie wieder zu tun.“
Dorian sah Keenan in die Augen. „Wenn man etwas verspricht, muss man es halten.“
Keenan war erst viereinhalb und musste bei diesem versteckten Tadel schlucken. „Ich wollte, dass sie herkommt.“
Dorian fühlte mit ihm. Aber Keenan hatte sich in Lebensgefahr gebracht. „Keine Ausnahmen“, sagte er, diese Regel lernten alle Jungen im Rudel. „Wenn du ein Versprechen nicht halten kannst, darfst du es gar nicht erst geben.“
Keenan versuchte, sich auf dem Schoss seiner Mutter aufzusetzen. Ashaya hielt ihn erst fest, ließ dann aber doch zu, dass er sich aufrichtete. Der Junge hatte seine Aufmerksamkeit Dorian zugewandt. „Tut mir leid.“
Dorian hob eine Augenbraue. „Entschuldigungen allein reichen nicht. Du musst von nun an dein Versprechen halten.“ Vielleicht war er zu hart zu dem Jungen, aber schließlich ging es um Leben oder Tod, das musste Keenan begreifen. „Kannst du das? Können wir uns auf dich verlassen?“
Keenan nickte. „Ja. Ich werde es nie wieder tun.“
„Versprich es“, forderte Ashaya ihn mit heiserer Stimme auf. „Versprich es mir.“
Keenan blickte sie fest an. „Ich verspreche es.“ Dann legte er den Kopf an ihre Schulter und schlang die Arme um ihren Hals. „Ich wusste, du würdest kommen.“
Ashaya erstarrte kurz und ließ sich dann gehen. Ihre Hand legte sich zitternd auf seinen Kopf, ihr Körper wurde weich und beugte sich über ihn. „Ach, Keenan.“ In diesen geflüsterten
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