Gefechte der Leidenschaft
weiter.
Eine ganze Weile lang hörte sie nichts als den Gesang der Vögel und das Rauschen einer leichten Brise in den Baumkronen. Doch dann vernahm sie erneut dieses Geräusch. Abermals blieb sie stehen und blickte den Weg zurück und Figaro tat dasselbe. Waren das Schritte gewesen? Hier konnte ihr doch wohl von Henri Moisant keine Gefahr drohen, oder?
Was für dumme Gedanken! Jemand war einfach ebenso früh aufgestanden wie sie und spazierte nun auf dem Pfad hinter ihr her. Vielleicht war es sogar Caid.
Aber warum rief er dann nicht oder versuchte sie einzuholen? Das wäre ihm nicht schwer gefallen, da sie sich keineswegs beeilt hatte, sondern müßig dahingeschlendert war. Und außerdem hätte Figaro ihn nicht angeknurrt.
Was, wenn es nicht Caid oder einer der Hausgäste wäre, sondern jemand, der den Auftrag hatte, sie zu entführen und in Moisants Haus zurückzubringen?
Demjenigen hätte sie die Sache wahrlich leicht gemacht, indem sie allein hierher gekommen war!
Lisette fühlte den Impuls zu flüchten. Doch wohin? Sie kannte sich in der Gegend nicht aus, wusste nicht, was vor ihr lag. Die Wegränder waren zwar deutlich zu erkennen, doch unmittelbar daneben begann das dichte Unterholz aus Baumschößlingen und Dorngestrüpp, durch das sie mit ihren weiten Röcken nie hindurchgekommen wäre. Die einzige sichere Zuflucht lag hinter ihr — das Haus.
Doch dorthin konnte sie jetzt nicht zurück, sie musste weiter dem Pfad folgen.
Sie raffte die Röcke und rannte auf die Wegbiegung zu, die vor ihr lag. Ihr Atem ging in keuchenden Stößen und sie bekam Seitenstechen. Mit einem grimmigen Lächeln dachte sie, was für ein glücklicher Zufall es war, dass sie sich heute morgen nicht die Zeit genommen hatte ein Korsett anzulegen, denn ihr mit Fischbeinstäben versteiftes Mieder engte sie schon genug ein. Als sie über eine Schlammpfütze sprang, merkte sie, dass sich ihre Frisur löste, doch darum konnte sie sich jetzt nicht kümmern, denn hinter sich hörte sie das Stampfen von Stiefeln und es kam immer näher.
Da drang von irgendwo hinter der nächsten Wegbiegung ein seltsamer Ton an ihr Ohr, fast wie das Klingeln einer Glocke. Eine Gruppe von Arbeitern, dachte sie erleichtert. Wer es auch sein mochte, Hauptsache, sie erreichte ihn noch zur rechten Zeit, um ihrem Verfolger zu entgehen.
Jetzt konnte sie deutlich das schnelle Klacken und Klirren von Metall hören, unterbrochen von aufmunternden oder enttäuschten Ausrufen. Sie runzelte die Stirn — das kam ihr irgendwie bekannt vor. Diese Geräusche hatte sie schon manches Mal auf ihrem Weg durch eine Nebenstraße der Passage de la Bourse gehört. Sie klangen nicht wie das Hämmern eines Hufschmieds, noch nicht einmal das eines Kupferschmieds, vielmehr leichter und irgendwie gefährlicher.
Aber natürlich!
Vor ihr lag im hellen Sonnenlicht ein offener Platz, umstanden von einem Hain aus Pecannussbäumen. Eine Gruppe Männer hielt sich dort auf, von denen zwei einander mit gezogenem Degen gegenüberstanden. Das Klirren und Klingen, das sie gehört hatte, entstand, wenn die Waffen aufeinander prallten. Da war ein Duell im Gange!
Caid und der Engländer, Gavin Blackford, kämpften miteinander. Wieder und wieder gingen sie mit dem glitzernden Stahl aufeinander los. Sie waren ganz bei der Sache, schnellten in Sonnenlicht und Schatten vor und zurück und spielten mit ihrem Leben.
Taten sie das wirklich?
Hier deutete nichts auf einen förmlichen Zweikampf hin. Die umstehenden Männer wirkten gelassen und von Wundärzten war weit und breit nichts zu sehen. Die Zuschauer standen in kleinen Gruppen beieinander, tauschten lachend Bemerkungen aus und feuerten die Kämpfenden mit gutmütigem Spott an. Auch die Fechter selbst kämpften zwar, als wollten sie den Gegner außer Gefecht setzen, grinsten sich jedoch dabei gut gelaunt an und riefen einander gelegentlich, ganz außer Atem, kleine Neckereien zu. Ihre Degen hatten sie durch Knöpfe auf den Spitzen unschädlich gemacht.
Dies hier war eine Übung und kein Duell.
Für einen Augenblick vergaß Lisette jeden möglichen Verfolger, vergaß Figaro, der an der Leine zerrte und wie verrückt mit dem Schwanz wedelte, vergaß alles um sich herum. Das Bild, das sich ihr bot, war etwas völlig Neues für sie, ein verbotener Einblick in eine durch und durch männliche Betätigung, einen freundschaftlichen Fechtgang. Caid und Blackford hatten ihre Röcke, Westen und Halstücher abgelegt und kämpften in Hemdsärmeln. Mit
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