Gefechte der Leidenschaft
mit Spitzhacke und Schaufel arbeiten«, setzte ihre Gefährtin hinzu, doch Lisette hörte kaum hin, denn unten an der Fußgängerpforte bellte Figaro jetzt wie verrückt. Sie stand auf, ging zum Fenster hinüber und schaute hinaus.
Sofort erkannte sie, was los war. Die Bande von Straßenjungen, die sie bei ihrem Einkaufsbummel gesehen hatte, hatte sich auf der anderen Straßenseite eingefunden. Sie lungerten dort nicht zum ersten Mal herum, saßen auf der Bordsteinkante oder hatten sich auf den Pflastersteinen vor der boulangerie im Erdgeschoss ausgestreckt. Das war merkwürdig, weil diese Straßenseite gerade jetzt in der prallen Sonne lag, aber wahrscheinlich spekulierten sie auf das Brot vom Vortag, das ihnen der Bäcker manchmal zusteckte.
»Aber nein«, hörte Lisette hinter sich Madame Herriot voller Entrüstung sagen. »Ich vermute, sie kam zusammen mit einem Mann, der dann starb und sie allein zurückließ. Caid zieht es vor zu glauben, dass sie plante, sich als Wäscherin oder Näherin zu verdingen. Wie dem auch sei, sie lernte stattdessen einen Mann kennen, der sie zu seiner Geliebten machte.«
»Meinen Mann«, sagte Lisette ausdruckslos, während sie sich wieder zu den anderen beiden Frauen setzte.
» Vraiment. Er kümmerte sich um sie, solange sie frisch und munter war und ihm nicht zur Last fiel, doch als sich das änderte, warf er sie aus dem Haus, das er für sie gekauft hatte.« Maurelle verstummte.
Es gab Ungenauigkeiten in Maurelles Version der Geschichte, doch Lisette sah keinen Anlass, sie zu berichtigen. Das konnte sie später noch tun, wenn alles geregelt war und sie sich ein bisschen mutiger fühlte.
»Es ist durchaus verständlich, dass Monsieur O’Neill zornig wurde, als er davon erfuhr«, sagte Agatha, der das Schweigen langsam unbehaglich wurde.
Ihr Gast nippte an seinem Zuckerwasser. »Ja, Moisant musste für seine Missetaten bezahlen, aber das änderte nichts an Caids Schuldgefühlen. Und da, Madame Moisant, liegt die Verbindung zu Ihren Lebensumständen, verstehen Sie? Er weiß, dass auch Sie unter ihrem Mann zu leiden hatten, und da er seine Schwester nicht mehr retten konnte, setzt er jetzt seine Ehre darein, Ihnen zu Ihrem Recht zu verhelfen.«
Was Madame Herriot damit sagen wollte, war, dass es Caid mit seiner Fürsorglichkeit gar nicht um sie persönlich ging, das wurde Lisette schlagartig klar. Es stimmte vermutlich und es war auch nichts dagegen zu sagen. Und dennoch, die Ereignisse der Vergangenheit und die Tatsache, dass er sie vor Henri Moisant gerettet hatte, hatten ein Band zwischen ihnen geknüpft. Dafür und für das Unrecht, das seine Schwester erlitten hatte, war sie ihm etwas schuldig. Und sie pflegte ihre Schulden zu bezahlen.
»Wie überaus edel«, bemerkte Agatha mit hochroten Flecken auf den schmalen Wangenknochen. »Eine solche Haltung überrascht einen immer, wo doch die Beweggründe der meisten Männer ... anderer Natur sind.«
»Sie haben ja so Recht, Mademoiselle Agatha«, seufzte Maurelle. »Aber es scheint, als habe sich jemand vorgenommen, das Ungleichgewicht zwischen Ehrenmännern und solchen mit eher niedrigen Neigungen wieder auszugleichen. Haben Sie schon gehört? Monsieur Lamotile wurde schwer verletzt aufgefunden. Der unbekannte Angreifer scheint ihn in einem improvisierten Duell geschlagen zu haben. Auf dem Boden neben ihm waren der Buchstabe >V< und zwei Wörter eingeritzt.«
»Was für Wörter denn?«, wollte Agatha wissen, als die Dame eine Kunstpause machte und sie erwartungsvoll ansah.
»>Frauen-Prügler<. Erstaunlich, n est pas?«
»Das ist ja wirklich merkwürdig«, pflichtete Lisette ihr bei.
»Nun, wir haben ja alle schon einmal davon gehört, dass der Vater oder Bruder einer Frau ihren Ehemann auf diese Weise zur Rechenschaft zieht, aber so, in aller Öffentlichkeit? Was mag das nur zu bedeuten haben?«
»Vielleicht waren die Worte gar nicht für die Öffentlichkeit gedacht, sondern nur als Warnung für den betreffenden Herrn, und wurden entdeckt, bevor man sie beseitigen konnte.«
»Ja, aber warum wurde er nicht wie üblich zum Duell gefordert? «
Es war Agatha, die mit versonnener Miene die Antwort gab. »Mir scheint, es sollte klar werden, dass es sich um ein Strafgericht handelt.«
»Ja, genau«, stimmte Maurelle ihr zu. »Solche Ehrenhändel stehen nicht gerade auf einem hohen moralischem Niveau.«
Sie lächelten einander wehmütig zu und schwiegen für einen Augenblick. Dann bemerkte Lisette, von Neugier und einer
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