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Gefeuert

Titel: Gefeuert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Berger
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jedoch bis heute keine einzige dieser Firmen je wieder bei mir gemeldet. Nicht dass ich darauf gewartet hätte, ich hatte ja die vergangenen Jahre einen Job.
    Es gibt sogar einen eigenen Ausdruck für diese Hinhaltebriefe: »Eisschreiben« werden sie genannt. Sie sollen eine Absage vermitteln und zugleich den Bewerber auf eine vage gemeinsame Zukunft vertrösten. Dafür gab es schon Wettbewerbe, ausgeschrieben von einem Personaldienstleister. Prämiert wurden etwa Sätze wie: »Eines ist sicher, Ihre Bewerbung hat uns sehr gut gefallen und wir freuen uns, wenn Sie uns wieder einmal schreiben.« Und: »Sie haben sich beim richtigen Unternehmen beworben. Leider jedoch im falschen Moment.«

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    Mein leeres Büro
    Es fällt mir nicht leicht, mein missglücktes Bewerbungsgespräch abzuhaken. Tagelang schleppe ich deswegen eine latente Unzufriedenheit mit mir herum. Ich hadere mit mir, ob mir nicht vielleicht doch ein guter Job durch die Lappen geht. Plötzlich kommt wieder Angst hoch. Angst, auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr Fuß fassen zu können. Angst, nicht genug Geld zu verdienen. Angst, etwas falsch zu machen.
    Auf die Angst folgen immer dieselben Vorwürfe, begleitet vom ewigen Genörgel von Frau Mayer im Ohr: »Warum hast du dich nicht schon sofort nach Herrn Roths erstem Anruf viel breiter beworben? Warum bist du überhaupt in Elternzeit gegangen? Wärst du in der Arbeit gewesen, dann hätten sie vielleicht doch etwas für dich gefunden. Warum hast du die Stelle in dem Kaff abgesagt?« Wenn der Sturm der Vorwürfe vorüber ist, bemühe ich mich, wieder zur Vernunft zu kommen. Dann widerlege ich Vorwurf um Vorwurf: »Deinen Kollegen wurde auch gekündigt, obwohl sie vor Ort waren. Du warst doch in Elternzeit und sowieso früh dran mit deinen Bewerbungen. Du brauchst einen Job, von dem ihr leben könnt, nicht eine unterbezahlte Stelle in einem anderen Teil Deutschlands.« Und danach spreche ich mir Mut zu: »Das wird schon. Du bist auf einem guten Weg. Es ergibt sich bestimmt etwas.«
    Diese destruktive Gedankenspule aus Angst und Vorwürfen, Beruhigung und Motivationsversuchen überkommt mich inzwischen fast täglich. Manchmal mehrmals täglich. Das belastet mich und wirkt sich negativ auf meine Projekte als Selbstständige aus. Eigentlich läuft es ganz gut, ich habe ein paar Aufträge erhalten, ohne dass ich groß Akquise betreiben musste. Natürlich noch auf einem niedrigen Level, aber immerhin. Doch das Problem ist: Es gelingt mir nicht, mich ihnen mit ganzer Energie zu widmen.
    Bislang war ich der Meinung, es sei am besten, doppelgleisigzu fahren: mich auf feste Jobs zu bewerben und zugleich ein Standbein als Selbstständige aufzubauen. Auf einmal merke ich, dass mich das zerreißt. Das geht auf Dauer nicht gut. Es wäre besser, ich könnte mich auf eines ganz konzentrieren. Ich würde so gerne ankommen, wissen, was Sache ist, und mich mit vollem Eifer in die Arbeit stürzen. Es nervt mich, noch immer in einem Zwischenstadium zu hängen. Es nervt mich, wenn meine Mutter zum x-ten Mal am Telefon fragt: »Aber mit dem Job überlegst du dir schon etwas?«
    Es nervt mich, wenn ich ständig lese, dass die Wirtschaftskrise in den nächsten Monaten erst richtig bei uns ankommen wird. Bislang seien die Deutschen noch gar nicht wirklich betroffen.
    Der Soziologe Wilhelm Heitmeyer von der Universität Bielefeld hat im Rahmen eines längerfristig angelegten Forschungsprojekts festgestellt, dass die Krise schon jetzt Auswirkungen auf das Zusammenleben in Deutschland hat. Die Menschen haben Angst vor der Zukunft und Angst davor, sozial abzusteigen. Vor allem Angehörige der Mittelschicht befürchten, nach unten abzurutschen. Persönlich von der Krise betroffen fühlten sich 40 Prozent der Interviewten. In erster Linie untersucht die Befragung, die jährlich gemacht wird, die Einstellung der Deutschen gegenüber Minderheiten. Durch die Krise ist die Bevölkerung zwar nicht menschenfeindlicher geworden, dennoch nimmt die Solidarität ab. Vor allem diejenigen, die Zukunftssorgen äußerten, waren Minderheiten gegenüber feindlich gesinnt. Insgesamt stimmten 63,4 Prozent der Befragten der Aussage zu, dass es empörend sei, wenn sich Langzeitarbeitslose auf Kosten der Gesellschaft ein bequemes Leben machten.
    Wie ich mich über solche Aussagen ärgere! Es wäre gut, wenn jeder, auch Politiker, Manager, Wissenschaftler, Etablierte, Gutsituierte, einmal erfahren würde, wie es ist, arbeitslos zu sein. Es ist nicht einfach

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