Gefeuert
aus dem Zusammenhang gerissen, zu direkt, fast schroff und überschreiten für mein Empfinden eine gewisse Grenze der Diskretion. Unter anderem habe ich beantwortet: »Mögen Sie Tiere?« – »Werden Sie mit Ihrem Partner steuerlich gemeinsam veranlagt?« – »Haben Sie eine Abfindung bekommen?«
Ich sehe nicht ein, was es ihn angehen soll, ob meine Kollegen und ich Abfindungen erhalten haben. Zum Glück habe ich mir in meinen Berufsjahren für solche Fälle die Fähigkeit angeeignet, ausführlich zu antworten, ohne die gewünschte Auskunft zu geben. Ich rede lang und ausschweifend und führe vom Thema weg.
Das Gespräch verläuft seltsam. Wir kommen nicht zusammen. Wir fallen uns gegenseitig ins Wort oder schweigen uns an oder missverstehen uns. Er erzählt viele Dinge, die mich nichts angehen. Unter anderem über das Privatleben meiner früheren Kollegin. Wenn ich versuche zu erfassen, worum es bei dem Job geht, und konkret nachfrage, wird er vage.
Schließlich verspricht er, sich zu melden, falls sich die Position konkretisiert. Er würde auf jeden Fall nicht nach einer Alternative zu mir suchen.
Na, das ist mal eine Aussage, denke ich mir. Er macht mir Hoffnungen auf eine Beschäftigung, die es noch gar nicht gibt.
Auf dem Heimweg grübele ich über dieses eigenartige Treffen lange nach. Es war mir sehr unangenehm. Und es zeigt mir mal wieder, wie vorsichtig man sein muss, wenn man meint, Bekannten einen Gefallen zu tun. Mir wäre es umgekehrt geradezu peinlich, wenn ich eine Kollegin in so eine Situation gebracht hätte, in der ich die letzte halbe Stunde war.
Warum habe ich mich nur darauf eingelassen? Ich hatte doch zuvor schon so ein ungutes Gefühl dabei. Oder war das jetzt ein klassischer Fall einer Selffulfilling Prophecy? Ging das Gespräch schief, weil ich mit negativen Gedanken hineingegangen bin?
Andererseits war es ja wirklich seltsam, dass über die Stellepartout nichts Konkretes zu erfahren war. Fragen über Fragen türmen sich auf. Was sollte das Ganze, wenn er gar keine Position zu besetzen hat? Oder habe ich ihn falsch verstanden? War das vielleicht nur ein ungelenker Versuch, mir abzusagen? Oder war das alles etwa nur eine Finte, um mehr über das Ende unseres Projekts zu erfahren? Aber was hätte er davon? »Jetzt werde nicht paranoid«, weise ich mich bei diesem Gedanken zurecht. Sofort kommt mir eine neue Idee: Sucht er womöglich gar keinen Mitarbeiter, sondern in Wirklichkeit eine neue Partnerin? Am besten eine tierliebe, solvente mit ordentlicher Abfindung?
Dann fällt mir meine Bewerbungsmappe ein. Ich ärgere mich über mich. Ich ärgere mich, dass ich ihm meine kompletten Unterlagen hingelegt habe. Mit Arbeitszeugnissen und allem drum und dran. Der Lebenslauf allein hätte es auch getan. Ich habe ein ungutes Gefühl dabei, dass dieses doch sehr vertrauliche Dokument bei ihm auf dem Schreibtisch liegt. Er wirkte etwas geschwätzig auf mich. Und er wird doch nicht über ein paar Ecken auch noch Jürgen kennen und auf das Zeugnis ansprechen? Er wird die Mappe hoffentlich nicht ewig offen auf seinem Schreibtisch liegen lassen oder sie einfach weitergeben?
So abwegig sind diese Überlegungen nicht. Nicht alle Unternehmen gehen sorgfältig mit den Unterlagen ihrer Bewerber um. Eigentlich müssen Arbeitgeber abgelehnten Bewerbern die Unterlagen wieder zurücksenden. Es sei denn, sie machen von vorneherein – etwa in der Stellenanzeige – klar, dass das nicht der Fall sein wird. Dann müssen die Unterlagen aus Datenschutzgründen vernichtet werden.
Kürzlich machte ein Unternehmen Schlagzeilen, das offenbar über Jahre Bewerbungsunterlagen gehortet hatte. Um sie loszuwerden, bot die Firma 500 gebrauchte Bewerbungsmappen über das Internetauktionshaus eBay an. Der Schreibwarenhändler, der sie ersteigerte, staunte nicht schlecht, als er feststellte, dass er Mappen mit den kompletten Unterlagen der Bewerber erhielt.
Ich nehme an, dass auch von mir deutschlandweit noch einige Mappen in irgendwelchen Büroschränken herumliegen. Beimeinem Bewerbungsmarathon nach dem Studium erhielt ich von mehreren Unternehmen Briefe, dass es mit der ausgeschriebenen Stelle leider nichts würde, sie meine »interessanten« Unterlagen aber gerne behalten würden. Das klingt in den Ohren eines Bewerbers besser als eine Absage. Es ist zwar auch enttäuschend, weil man sich ja auf eine konkrete Stelle beworben hat. Aber es ist nicht ganz so deprimierend wie ein hartes »Nein«. Tatsächlich hat sich
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