Gefluesterte Worte
ärgste Feindin, und weißt nicht, daß sie oftmals eine Freundin ist, die dir den Weg zur Ruhe zeigen will. Die Krankheit ist wohl eine der schwersten Prüfungen auf dieser Erde, wenn wir sie aberrichtig benutzen, so ist sie ein wunderbarer Weg. Manchmal kommt sie als Erlösung aus unerträglicher Lage, als Befreierin von großer Not, da sie einen Stillstand bringt am Rande des Abgrundes und einen Ruhepunkt inmitten großer Anfeindung und Gefahr.
Manchmal kommt sie, weil die Seele sich nicht vom Körper lösen wollte, sondern zu sehr in ihrer zeitweiligen Wohnung gefangen war, da mußte die Krankheit kommen, die Wohnung so vernichten, daß die Seele sie verließ und einen andern Weg einschlug, um Ruhe zu finden. Hier liegt das Mittel des Inder, das Freiwerden vom Körper ganz nahe. Denn die gezwungene Untätigkeit gibt den Gedanken freie Bahn, und die langen Stunden, die man wach auf dem Lager liegt, bringen die Seele in wunderbare Schwingungen, erheben sie in unbekannte Gegenden und lassen sie mit sich selbst allein. Es gibt Leben, in welchen diese Selbsteinkehr durch die Verhältnisse unmöglich gemacht wird, da kommt die Krankheit und ruht aus und gibt der Seele die Speise, die ihr gänzlich versagt war. Da bedarf es keiner Bücher und keiner fremden Gedanken. Dalernt die Seele Dinge verstehen, die ihr keine Bücher lehren können.
Man kann so hoch über den Schmerzen des Leibes stehen, daß die Schmerzen nur eine Anregung werden zur Freiheit der Seele, daß, je stärker der Geist, je unvermögender die Glieder, desto reiner der Ruhe Empfindung. Krankheit ist nicht so schlimm, als wir es oftmals wähnen. Wir wollen nur nicht immer lernen, was sie uns lehren will. Wir wehren uns gegen ihre Qual und wollen die Hitze der Esse nicht tragen. Sobald wir uns aber der Schule hingeben ohne Gegenwehr, bemerken wir, daß wir steigen können und daß unsichtbare Flügel wachsen. Wir merken es bald an der Umgebung, die gern an unser Lager tritt und oftmals Erbauung und Ruhe empfindet, anstatt vom Mitleid verletzt zu werden. Auch Mitleid zu erwecken ist gut, da es den Mitmenschen nötig ist, durch Mitleid zu wachsen, und durch Mitleid von Selbstsucht befreit zu werden. Auch hierin ist der Kranke seinen Mitmenschen nützlich, ohne es zu wissen und zu wollen. Wenn er freilich ungeduldig ihnen ihre Aufgabe erschwert, dann hat er die Krankheit und ihre Lehre nicht verstanden, dann geht sie spurlos an der Seelevorüber und hat sie nicht höher gehoben und nicht gestärkt und nicht gereinigt von Erdenschlacken. In den langen Stunden der Nacht ist es oft, als wäre ein Gespräch in uns mit uns selbst oder mit andern, Unsichtbaren, ein Hin und Her der Fragen und des Wissens, das uns weit fortführt in unbekannte Regionen. Zuerst wehrt man sich verzweifelt gegen Schmerzen und Schlaflosigkeit, bald aber lernt man und lauscht man den Lehren, welche die Nacht uns zuflüstern will in ihren heimlichen Worten, wenn alles schläft. Sie flüstert von der Ruhe, nicht nur der Ruhe im Tode, sondern von der erhabenen Ruhe der Seele, die über dem Körper steht, mit ihrer Kraft und Einsicht. Sie flüstert von den vielen, die früher gelitten haben, und die so geduldig den andern Menschen viel gelehrt und viel geholfen haben, während sie meinten, sie seien hülfreich. Die Kranken, welche qualvolle, lange Nächte geduldig und mit sich selbst allein zuzubringen den Mut haben, die erringen etwas, das ihnen keine andere Arbeit an sich selbst gebracht hätte.
Nicht klagen, nicht weinen, sondern dem Schmerze sagen: »Ich bin stärker als du, denn ich trage die Ruhe in mir!«
Seelenschmerz kann auch zur Ruhe hinanführen. Aber schwerer. Denn im Seelenschmerz bleibt so oft die Frage: Warum? Und die verscheucht die Ruhe. Könnten wir das nicht fragen, sondern geduldig sein und denken, daß wir ein Teil vom Ganzen sind und daß unser Schmerz vielleicht für andere Glück ist, oder aus einer Verkettung von Verhängnissen kommt, deren furchtbare eiserne Gerechtigkeit bewunderungswürdig ist, so würden wir geduldiger bleiben und sogar im Seelenschmerz zur Ruhe hindurchdringen.
Seele, sei geduldig, geh deinen Weg zur Ruhe, das ist dein einziger Weg, alle andern sind Scheidewege und führen zu nichts. Die Ruhe ist dein Ziel, die Ruhe dein Himmel, wenigstens der Himmel, den du für den Augenblick begreifen kannst. Die Ruhe ist, was dich göttlich unnahbar, erhaben, und dennoch so gütig und friedlich und nachsichtig macht. Die Ruhe ist eine
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