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Gefrorene Seelen

Gefrorene Seelen

Titel: Gefrorene Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giles Blunt
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vor dem Haus der Cowarts und kratzte mit bloßen Händen den Schnee vor dem Kellerfenster fort. Seine Knie waren gefühllos wie Holz. Der Schneehaufen bestand aus Schichten von Pulverschnee und Eis. Cardinalging zum Auto zurück und holte eine Schaufel aus dem Kofferraum.
    Die Kanthölzer, mit denen die Sperrholzplatte festgemacht war, wiesen an beiden Enden Spuren von einem Brecheisen auf, und auch die Nägel saßen lose. Die Kanthölzer lockerten sich rasch, dann gab die Sperrholzplatte nach. Eine Glasscheibe fehlte.
    Cardinal zog seinen Mantel aus, und die bitterkalte Luft riss ihm geradezu den Atem aus den Lungen. Er kniete sich hin, kroch rückwärts zur Fensteröffnung und ließ sich nach innen gleiten. Schnee drang ihm durch Hemd und Hose und schmolz auf der Haut. Unter den Füßen spürte er eine waagerechte Fläche, wahrscheinlich einen Tisch. Wer immer auch hier eingebrochen war, er hatte den Tisch hergezogen, um leichter wieder herauszukommen.
    Cardinal zog den Mantel hinter sich her durchs Fenster und mühte sich mit dem Reißverschluss ab. Über die Kälte fluchend, stand er auf dem Tisch und schlug die Arme an den Körper, um sich warm zu machen. Das wenige Tageslicht, das durch die Fensteröffnung kam, konnte die Dunkelheit nicht vertreiben.
    Er stieg vom Tisch – einem Wäschetisch, wie er jetzt bemerkte – und schaltete seine Taschenlampe an. Es war ein schweres Gerät mit sechs Batterien, das ihm auch schon als Keule gedient hatte; das Glas hatte einen Sprung, und der Metallkörper wies manche Delle auf. Der weiße Lichtstrahl strich über den kalten Ofen, die Waschmaschine, den Trockner und eine Werkbank, die sogleich seinen Neid weckte. Auch eine elektrische Bandsäge stand da, die er für fast fünfhundert Dollar in einem Fachgeschäft gesehen hatte.
    Selbst in der Kälte roch er den Stein und den Staub, das rohe alte Holz, den Waschküchendunst, der von Waschmaschine und Trockner ausging. Er machte eine Tür auf, durchstieß mit der Taschenlampe alte Spinnweben und entdeckte Regale mit Eingemachtem – Pfirsiche und Pflaumen und sogar ein Glas mit roten Paprikaschoten, die wie frische Herzen aussahen.
    Die Treppe war neu, unfertig und noch nicht verschalt. Im Lichtkegel der Taschenlampe waren keine Fußspuren zu erkennen, doch Cardinal trat trotzdem nur auf den Rand der Stufen und nahm zwei auf einmal, um Spuren nicht zu verwischen, die er vielleicht übersehen hatte.
    Durch die Tür trat man in die Küche. Cardinal verharrte einen Augenblick, um die Atmosphäre des Hauses auf sich wirken zu lassen. Kälte und Dunkelheit, es roch nach Verzweiflung. Cardinal kämpfte mit dem aufsteigenden Jagdfieber und einer Vorahnung von irgendetwas Unheilvollem. Er hatte seit langem gelernt, solchen Gefühlen zu misstrauen, weil sie meist trogen. Dass Hinweise auf Einbrecher vorlagen, bedeutete nicht, dass der Mörder hier gewesen war oder der Ausreißer Todd Curry.
    Die Küche sah unberührt aus, alles war mit einer dünnen Staubschicht überzogen. In einer Ecke führte eine schmale Treppe nach oben, daneben stand ein Schrank. Cardinal öffnete den Riegel mit der Stiefelspitze und erblickte säuberlich aufgereihte Konservendosen. An der Wand über dem Schrank hing der Kalender eines hiesigen Geschäfts für Sport- und Freizeitartikel. Zu sehen war ein Angler in einer Sportjacke und neben ihm ein lachender kleiner Junge. Cardinal hatte plötzlich Kelly vor Augen, die Erinnerung an einen Sommerurlaub, ein Cottage; ihre kindliche Aufgeregtheit, als der Fisch an der Angel hing, wie zimperlich sie sich beim Präparieren des Hakens anstellte, wie ihr blondes Haar vor dem tiefblauen Himmel flatterte. Auf dem Kalender war es Juli vor zwei Jahren, der Monat, in dem der Hauseigentümer gestorben war.
    Im Plastikabfalleimer fand er nur eine zerknüllte Verpackung für Donuts.
    Im Esszimmer standen schwere alte Möbel. Cardinal kannte sich mit Antiquitäten nicht aus, daher hätte er nicht zu sagen gewusst, ob es sich um echte alte Stücke oder um Imitationen handelte. Das Gemälde an der Wand sah alt und irgendwie berühmt aus, aber Cardinal war auch kein Kunstkritiker. Kelly hatte einmalmit Entsetzen festgestellt, dass er keine Ahnung hatte, wer die »Gruppe der Sieben« war, offenbar die Stars in der Geschichte der kanadischen Malerei. Hinter den Glastüren einer Vitrine standen, sorgfältig arrangiert in Reih und Glied, geschliffene Gläser. Cardinal öffnete eine Schranktür und fand Armagnac- und Whiskyflaschen.

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