Gefuehlschaos inklusive
nicht vermutet, dass dies ein Problem werden könnte.“
Tja, ich auch nicht.
„Wie ist eigentlich dein Verhältnis zu Oliver?“
Stefan reibt sich übers Kinn und ich verstehe nicht ganz, warum ich diese Frage überhaupt gestellt habe. Glaube ich etwa, Stefan könnte seinem Bruder ernsthaft übel nehmen, dass er versucht hat, mich Stefan auszuspannen? Dies ist sicher keine Belastungsprobe für ihr Verhältnis. Wenn ich ein Mann wäre, müsste ich mich eher darum sorgen. Nur Olivers Interesse am gleichen Geschlecht dürfte geringfügig sein.
„Tja, ganz gut, glaube ich. Warum willst du das wissen?“
Ich antworte nicht mehr auf Stefans Gegenfrage und ziehe ihn vom Bett.
„Komm, lass uns frühstücken. Die anderen warten sicher schon auf uns.
Nach dem Frühstück bereite ich mich auf einen Ausflug in die Stadt vor. Mein Ziel ist der Marienplatz. Von dort aus möchte ich einen kleinen kulturellen Rundgang durch die Straßen starten. Stefan hat mit seinem Vater noch einiges zu besprechen, Frau Kallenbach verhält sich auch heute so ablehnend mir gegenüber, dass ich es vorziehe, den Vormittag über nicht zu viel Zeit in ihrer Nähe zu verbringen und Oliver ist für mich gestorben! Ich ziehe mir bequeme Schuhe an, rufe mir ein Taxi und verlasse wohlgelaunt mein Zimmer. Auf der Treppe begegne ich Oliver und ärgere mich, ihn vor meinem Aufbruch noch mal sehen zu müssen. Mit hocherhobenem Haupt stolziere ich zum Treppenabsatz und versuche, einen möglichst desinteressierten Eindruck zu erwecken.
„Pass auf, dass du nicht über deinen eigenen Hochmut stolperst“, gibt er kühl und überlegen von sich.
Armleuchter!
„Und du solltest deinen Mund nicht allzu voll nehmen. Stefan ist immerhin dein Bruder und ich seine Freundin, wenn du verstehst, was ich meine.“
Sein fragender Blick ist eine Genugtuung für mich. Es soll ihm ruhig mal bewusst werden, dass er Stefans Vertrauen missbraucht hat. Unsere Beziehung ist zwar nur frei erfunden, aber das kann Oliver ja nicht wissen. Oder weiß er etwas? Ich setze meinen Weg nach unten fort, doch mein nächster Schritt geht ins Leere. Zu meinem eigenen Entsetzen rutsche ich aus und falle ein paar Stufen abwärts. Oliver springt mir mit einem großen Satz entgegen und fängt mich auf wie eine Bowlingkugel auf Abwegen. Das Blut steigt mir in den Kopf. Seine Arme umschlingen mich so fest, als wolle er mit mir verschmelzen.
„Du bist der größte Tollpatsch, dem ich jemals begegnet bin.“
Ich bin froh, dass er meine früheren Missgeschicke nicht kennt. Diese hier sind im Vergleich dazu harmlos.
„Danke“, erwidere ich, denn ich werte seine Bemerkung als Kompliment. Für den Augenblick scheint unser Missmut von gestern Nacht wieder vergessen. Doch plötzlich steht Stefan am Ende der Treppe und sieht zu uns herauf. Sofort lässt Oliver mich los und verschwindet nach oben. „Danke für deine Hilfe“, rufe ich ihm noch hinterher.
„Das war reine Schadensbegrenzung“, antwortet er von Weitem und verschwindet in einem der Zimmer.
„Was war denn hier los?“, erkundigt sich Stefan interessiert.
„Ich lief Gefahr, die Treppe hinunterzupurzeln. Und Oliver war so freundlich, mich aufzufangen“, antworte ich ihm immer noch benommen. „Ich muss mich beeilen, mein Taxi wartet draußen auf mich.“
„Dann wünsche ich dir viel Spaß und sei möglichst um dreizehn Uhr wieder zurück.“
„Ja, ich weiß, dann gibt’s Essen.“
Ich kann’s kaum erwarten.
Ein Geheimnis ist ein Geheimnis
Es ist ein herrlicher Sonnenschein an diesem April-Morgen, und was gibt es Schöneres, als sich bei diesem Wetter einem ausgiebigen Einkaufsbummel hinzugeben? Ich streiche also die geplanten kulturellen Besichtigungen und tue lieber dass, was Frauen gerne tun, vor allem dann, wenn sie ein Ventil für ihre schlechte Laune benötigen. Ich shoppe eifrig durch die Geschäfte an diesem verkaufsoffenen Sonntag. Selbstverständlich erwerbe ich allerhand Kram, den ich natürlich dringend benötige. Es führt zu einer tiefen Befriedigung, wenn man mit einem Haufen prall gefüllter Einkaufstaschen heimkehrt. Dummerweise vergesse ich dabei völlig die Zeit und erschrecke, als die Turmuhr eins schlägt. Schnell ergattere ich ein Taxi und weise den Fahrer an, sein Tempo zu beschleunigen. Mit einer halben Stunde Verspätung fahren wir auf den Hof. Stefan steht schon mit einem sorgenvollen Gesichtsausdruck auf der Treppe und läuft dem Taxi entgegen. Er öffnet die Wagentür und hilft mir
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