Gefuehlschaos inklusive
Oliver ohnehin alles erben. Du glaubst doch nicht, dass er seinem schwulen Sohn auch nur einen Penny vererben wird.“
Armer Stefan! Es muss schwer für ihn sein. Nachdem ich seine Eltern kennengelernt habe, kann ich mir allerdings auch nicht vorstellen, dass sie Verständnis für seine Homosexualität aufbringen werden. Es wird nicht leicht für ihn, sich zu outen, aber irgendwann muss er es einfach tun.
„Wann willst du deine Eltern über alles aufklären?“
„Ich weiß nicht. Im Moment bin ich einfach noch nicht bereit dazu. Und sie sind es auch nicht.“
„Warum sprichst du nicht wenigstens mit deinem Bruder darüber. Er wird es sicher verstehen.“
„Ja, vielleicht hast du Recht. Ich werde es mir überlegen.“
Wir gehen Hand in Hand zum Haus zurück.
„Na, ihr Turteltäubchen“, ruft uns Oliver herausfordernd zu und tritt vor uns durch den Eingang. Doch dann bleibt er stehen und hält uns die Tür auf. Stefan geht vor mir ins Haus und verschwindet im Arbeitszimmer seines Vaters. Muss er mich jetzt mit Oliver allein lassen? Als ich die Türschwelle überschreite, hält mich Oliver am Handgelenk fest.
„Was für eine Schau ziehst du hier ab? Ich merke doch, dass irgendwas nicht stimmt.“
Standhaft erwidere ich seinen feindseligen Blick und ärgere mich, dass ich keinen Säbel dabei habe. Ich hätte es gern auf ein Duell ankommen lassen. Seine ungehobelte Art verdient eine Abreibung.
„Ich sehe keine Veranlassung, dir irgendetwas erklären zu müssen. Und jetzt sei bitte so freundlich und lass mich los!“
Ich befreie mich aus seinem Griff und setze meinen Weg in die Bibliothek fort. Dort staune ich über die vielen gut sortierten Bücher in meterhohen Regalen. Ich nähere mich einem der Regale und ziehe wahllos ein Buch heraus. Gleichgültig blättere ich ein wenig darin herum, bis ich Oliver hinter mir bemerke. Also klappe ich das Buch wieder zu, um es zurückzustellen. Verärgert drehe ich mich zu ihm herum.
„Warum verfolgst du mich?“, frage ich ihn gereizt und sehe ein antikes Schwert an der Wand hängen. Das kann nur ein dummer Zufall sein. Oder ist das jetzt ein Zeichen?
„Warum erzählst du mir nicht mal, was dieses ganze Theater mit Stefan hier soll?“
Weiß er vielleicht doch etwas über Stefans Geheimnis?
„Ich verstehe nicht, worauf du hinauswillst?“
Oliver kaut auf seiner Unterlippe und mir scheint, als würde er bereits alles wissen. Wieso versucht er mir dann Informationen zu entlocken, die ich ihm beim besten Willen nicht geben kann?
„Seit einem Jahr versucht Stefan, uns eine Freundin zu verkaufen, die niemals jemand zu Gesicht bekam. Und ganz plötzlich, nach dem Herzinfarkt unseres Vaters, schleppt er dich an. Meine Eltern mögen vielleicht auf dich hereinfallen, aber mir könnt ihr keinen Bären aufbinden. Irgendwas ist faul an eurer Geschichte und ich möchte jetzt wissen, was.“
Seine ungetrübte Wahrnehmung verblüfft mich. Das hätte ich ihm gar nicht zugetraut.
„Wenn du wirklich der Meinung bist, warum fragst du dann nicht deinen Bruder?“
Meine Bemerkung steigert seine Gereiztheit.
„Ich frage aber dich. Wie wäre es mit einer ehrlichen Antwort.“
„Warum? Bin ich dir eine schuldig?“
„Es ist unglaublich, wie du um den heißen Brei herumreden kannst. Wo hast du das nur gelernt?“ Mir ist nicht bewusst, dass ich das mache, aber wäre ich an Olivers Stelle, würde ich das Gleiche über mich denken. Dabei versuche ich lediglich, Stefan zu schützen. „Ich hoffe, du hast unseren kleinen Unfall im ‚Conrad‘ gut überstanden“, sagt Oliver nun auf einmal in einem sanften Ton. Auf derart freundliche Worte bin ich nicht eingestellt und brauche ein paar Sekunden, mich der neuen Situation anzupassen. Ich möchte ihm antworten, aber es kratzt in meinem Hals, sodass ich mich räuspern muss. „Hoffentlich hast du dir hier nichts eingefangen. Die Temperaturen in diesem Haus sind immer etwas zu kühl.“ So viel Fürsorglichkeit rührt mich, trotzdem kann ich in diesem Moment gar nichts damit anfangen. „Also, Claudia, wenn es da etwas gibt, was ich wissen sollte, dann sag es mir bitte.“
Wenn er weiter so bohrt, hat er mich gleich. Die Worte liegen mir bereits auf der Zunge. Aber zum Glück siegt die Disziplin. Ich kann Stefans Geheimnis einfach nicht preisgeben.
„Tut mir leid, es geht nicht.“
Ich wende mich von Oliver ab und verlasse die Bibliothek. Das war allerhöchste Eisenbahn. Wenn er mich noch länger bearbeitet hätte, wäre
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