Gefuehlschaos inklusive
nicht zu sprechen. Auch Oliver redet kein Wort. Nervös spiele ich mit meinen Fingern und staune darüber, in was für Situationen ich neuerdings hineingerate. Bis vor Kurzem war mein Leben so vorhersehbar wie die Tage eines Kalenders. Nach dem Montag folgt immer ein Dienstag und ob es einem gefällt oder nicht, der Mittwoch kommt danach. Seit ein paar Tagen kommt es mir so vor, als wären die Wochentage durcheinandergepurzelt. Eigentlich weiß ich, dass heute Sonntag ist, aber es fühlt sich so an, als würde die Woche erst beginnen. Mein Leben läuft aus dem Ruder und ich kann es nicht mehr beeinflussen.
Die Ampel springt auf Rot um, doch Oliver fährt mit überhöhter Geschwindigkeit auf sie zu. Ich kann nicht glauben, dass er einfach nicht reagiert. Er scheint komplett abwesend zu sein und bemerkt das umgesprungene Licht nicht. Entsetzt schreie ich ihn an: „Pass auf, die Ampel ist rot!“
Sofort ist er wieder auf Sendung und tritt mit voller Kraft auf das Bremspedal. Die Reifen quietschen, das Auto rutscht unkontrolliert über den Asphalt. Ich werde nach vorn gedrückt, sodass der Gurt mir die Luft abschneidet. Zur gleichen Zeit knackt es in meinem Hals. Das kann nicht gut gewesen sein. Als der Wagen endlich kurz vor der Kreuzung zum Stehen kommt, brauche ich einen Augenblick, um zu verstehen, dass alles gut gegangen ist. Vor meinem geistigen Auge habe ich gesehen, wie sich die Stoßstange eines Kleintransporters durch meinen Bauch bohrt. Oliver lässt seinen Kopf auf das Lenkrad sinken und stößt einen erleichterten Seufzer aus. Kurz darauf fährt er weiter und biegt rechts ab, um den Wagen in eine Parkbucht zu steuern und den Motor abzustellen. Heute ist mein zweiter Geburtstag! Dass wir noch leben, ist ein Wunder! Besorgt sieht er in meine Richtung. Immer noch sitze ich wie festgewachsen in meinem Sitz.
„Alles in Ordnung mit dir? Ist dir was geschehen?“
Es gelingt mir nicht zu antworten, der Schock sitzt einfach zu tief. Vielleicht kann er mich in drei Minuten noch mal ansprechen. Jetzt brauche ich erst einmal Zeit, mich zu sammeln.
„Mensch, Claudia, nun sag doch was!“ Seine Nervosität nähert sich dem Höhepunkt. Warte mal, ich muss die letzten Sekunden kurz Revue passieren lassen.
„Also, ich lebe noch, und du?“
„Bist du verletzt?“
„Na ja, mein Brustkorb schmerzt und mein Hals auch.“
Aber sonst fühlt es sich so an, als säße alles noch da, wo es hingehört. Soweit ich das in der Kürze beurteilen kann.
„Du musst sofort in ärztliche Behandlung.“
Nein, wieso denn das? Ich lasse keinen Kurpfuscher an mich heran.
Mit einem Mal donnert er mit seiner Faust gegen das Lenkrad. Ich zucke zusammen. Geht das nicht ein bisschen leiser?
„Verdammt noch mal! Ich verfluchter Idiot!“
In der Notaufnahme treffen wir auf Stefan und seine Mutter.
„Da seid ihr ja endlich. Wo wart ihr denn so lange?“, fragt Stefan aufgeregt. Er kann ja nicht wissen, dass er neben seinem Vater noch beinahe seinen Bruder und seine vermeintliche Verlobte verloren hätte.
„Wie geht es ihm?“, erkundigt sich Oliver, ohne auf Stefans Frage einzugehen.
„Er wird noch untersucht, aber so wie es aussieht, war es nur der Kreislauf“, informiert uns Frau Kallenbach.
Erleichtert atmet Oliver auf. Auch ich bin froh, dass alles so glimpflich abgelaufen ist. Alle drei sind wohlauf. Das ist doch ein Grund zum Feiern.
„Gut, dann werde ich jetzt erst einmal Claudia bei der Notaufnahme anmelden.“
„Warum? Was ist denn passiert?“, wundert sich Stefan. Ich mich auch. Hab ich gesagt, dass ich da hinwill?
„Das erkläre ich dir später.“
Oliver führt mich zur Anmeldung und ich begleite ihn stumm.
Nach der Untersuchung verlasse ich das Behandlungszimmer mit einer schicken Halskrause. Ich finde diese Dinger scheußlich. Sie rauben einem die ganze Bewegungsfreiheit und man sieht damit aus wie ein halsloses Gürteltier. Stefan und seine Mutter warten schon ungeduldig auf uns.
„Wir dachten, du kommst da überhaupt nicht mehr raus“, bemerkt Stefan und sieht erleichtert aus, dass ich nicht auf einer Bahre in den OP-Saal geschoben werde. „Steht dir aber gut dein neuer Fummel.“
„Wie geht es Ihnen?“, fragt Frau Kallenbach interessiert.
„Alles halb so schlimm. Ich hab ein Schleudertrauma und ein paar blaue Flecken, nichts Ernstes.“
„Diese Situation war alles andere als harmlos“, widerspricht Oliver aufgebracht. „Ist dir nicht klar, was alles hätte passieren können? Und
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