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Gefuehlsecht

Gefuehlsecht

Titel: Gefuehlsecht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Russo
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zweimal kurz hintereinander an ihn erinnert. Zuerst von meiner Mutter, dann von mindestens siebzig Gästen auf einmal, die lautstark auf Anweisung von Tante Hilde im Chor grölen:
    »Weine nicht, wenn du sechzig wirst, damm-damm, damm-damm.
    Freu dich, dass du sie geworden bist, damm-damm, damm-damm.
    Zähne rein und Brille auf, heute machen wir einen drauf.
    Alles, alles geht vorbei, bleib uns ewig treu!
    Tut’s mal vorne und mal hinten weh, damm-damm, damm-damm.
    Das geht vorüber wie eh und je, damm-damm, damm-damm.
    Zähne rein und Brille auf …
    Kommen Falten an Gesicht und Po, damm-damm, damm-damm.
    Lächle drüber und zeig dich froh, damm-damm, damm-damm.
    Zähne rein und Brille auf, heute machen wir einen drauf!
    Alles, alles geht vorbei, bleib uns ewig treu!«
    Ich stehe im Vereinshaus der Kleingartenanlage zum Krügersberg und werde von siebzig teilweise schon zahnlosen Gästen an den Schwur erinnert, den ich Jürgen am Anfang unserer Beziehung gegeben habe. Wir wollten uns treu bleiben! Mir wird auf der Stelle ganz flau in der Magengegend. Immerhin habe ich einen mir völlig fremden Mann auf der Straße geküsst. Und nicht nur das – ich wollte ihn abschleppen und mit ihm ins Bett hüpfen. Und wäre Maja mit ihrer blöden Beziehungskiste nicht dazwischengekommen, dann hätte ich es bestimmt auch getan. Zumindest hätte ich es versucht! Ich trinke noch einen Schnaps. Und danach noch einen. Und noch einen. Wie singt Drafi Deutscher noch mal?
    »Nimm den goldenen Ring von mir, damm-damm, damm-damm.
    Bist du traurig, dann sagt er dir, damm-damm, damm-damm …«
    Da haben wir es! Jürgen ist selbst schuld. Es liegt alles nur daran, dass er den blöden Ring nicht dagelassen hat. Er hätte ihn gleich an meinen Finger stecken sollen, so wie sich das gehört. Aber nein, er musste ihn ja unbedingt wieder mitnehmen. Jürgen ist und bleibt eben ein Sparbrötchen. Wahrscheinlich hatte er Angst, ich könnte letztendlich doch Nein sagen und er hätte die Kohle für den Ring umsonst ausgegeben. So kann er ihn wenigstens wieder zurückbringen. Und überhaupt. Wäre Jürgen nicht so blöd gewesen und hätte den Quatsch mit den dreißig Tagen angezettelt, dann hätte ich Bruno niemals geküsst.
    Ich meine, was erwartet Jürgen denn von mir? »Tu was du willst. Ich werde keine Fragen stellen.« Ist doch irgendwie bescheuert. Das ist doch ein Freibrief zum Fremdgehen. Oder sogar eine Aufforderung dazu. Vielleicht will Jürgen ja sogar, dass ich fremdgehe? Damit ich merke, was ich an ihm habe? Ein Seitensprung soll gar nicht so schlecht sein für eine Beziehung. Habe ich mal gehört. Was kann ich denn dafür, dass Bruno so gut küssen kann? Und was kann ich dafür, dass ich ständig an ihn denken muss? Ich trinke Schnaps Nummer sechs und beschließe, dass es Jürgens Absicht war, ihn zu betrügen. Jürgen wollte betrogen werden! So ein Arsch! Wer weiß, vielleicht will er mich ja auch loswerden und alles war ein ganz abgekartetes Spiel? Ganz berechnend, von Anfang an geplant mit diesem bescheuerten Heiratsantrag?
    Es hilft alles nichts. Ich kann mir einreden, was ich will, das schale Gefühl im Bauch und das schlechte Gewissen bleiben. Ich will mich nicht schlecht fühlen. Jürgen wollte es so. Er hat mir doch die dreißig Tage geschenkt! Außerdem ist bisher ja nichts Schlimmes passiert. Bruno werde ich sowieso nie wiedersehen. Bestimmt war es ein Zeichen, dass mein Handy mit seiner darin gespeicherten Nummer verschwunden und nicht wieder aufgetaucht ist. Und wenn der liebe Gott gewollt hätte, dass ich Bruno wiedersehe, dann hätte ich ihn sicherlich bei meiner Suchaktion in einer der Tischlereien gefunden. Dafür hat mir der liebe Gott Marmor, Stein und Eisen bricht geschickt. Sozusagen als Zeichen. Morgen rufe ich Jürgen an. Alles wird gut!
    Ich trinke Schnaps Nummer sieben und stelle mich vor Onkel Karl an den Tisch. Onkel Karl hat eine Glatze, wie Professor Ben Kreischmann, sieht aber damit nicht annähernd hollywoodverdächtig aus, sondern eher wie eine alte, verschrumpelte Melone. Meine Hand nähert sich langsam seinem Kopf und ich überlege ernsthaft einen kurzen Moment, ob ich einfach mal darüberstreichen soll.



22
    Diese SMS war nicht für mich bestimmt!
     
    Wow, so betrunken war ich schon lange nicht mehr. Ich schätze, ab heute habe ich einen neuen Lieblingsonkel. Onkel Karl freut sich bestimmt schon auf die nächste Familienfeier. Dann kennt er mit Sicherheit auch wieder neue Trinksprüche, die er mir alle

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